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Kerstin
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oder modifiziert wurde. Die Wahl eines Motivs
ist bei einem Dilettanten, der nichts anderes als
abmalen gelernt hat, im übertragenen Sinne iko-
nographisch aussagerelevant.
Auch für Historiker waren diese Zeichnun-
gen uninteressant, scheinen sie doch keinerlei
Quellenwert zu besitzen. Doch gerade im Kon-
text mit Biographien bzw. konkreten Details
aus der Lebensphase, in der die Zeichnungen
entstanden, entwickeln sich die Bilder plötzlich
zu aussagekräftige Ergänzungen der Viten und
Charaktere der Habsburger. Wohlgemerkt: die
Zeichnungen sind hier nicht als Illustrationen zu
verstehen, sondern als eigenständige, nonverba-
le Quellen, die es nur zum Sprechen zu bringen
gilt, indem man sie mit historischen Informatio-
nen vernetzt.
Im Rahmen des vorliegenden Aufsatz wird
eine in sich eigene Gruppe vorgestellt: Bilder als
Geschenke innerhalb der Familie. Die Zeich-
nungen werfen ein bezeichnendes Bild auf das
Miteinander in der Kaiserfamilie, die bei aller
höfischen Form und Etikette doch einen sehr
emotionalen Umgang miteinander pflegte, bei
dem bezeichnenderweise auch immer kleine
Geschenke, die nicht unbedingt von materiellen
Wert sein mußten, eine Rolle spielten. Daß es
sich tatsächlich um Geschenke handelt, läßt sich
recht einfach an den Datierungen festmachen,
die vor allem die Geburtstage und Namenstage
treffen – diese Tage waren am kaiserlichen Hof
zu Zeiten Maria Theresias mit einer Gala verbun-
den, im 19. Jahrhundert im wesentlichen auf das
familiäre Umfeld reduziert. Die Datierungen ver-
raten auch die Empfänger der Bilder, die nur sel-
ten namentlich vermerkt sind. Deutlich im Mit-
telpunkt als Empfänger stehen Franz I. und seine
zweite Ehefrau Maria Theresa sowie die dritte Ehefrau Ludovika, eine zweite kleinere Gruppe
bildet sich um Kaiser Franz Joseph heraus.
Kaiser Franz I. ist in diesem Aufsatz mit kei-
ner Zeichnung vertreten, weil sich keine über-
zeugend als Geschenk identifizieren ließ. Es ist
allerdings überliefert, daß er sich 1776 mit ei-
nem selbstgemalten Bild bei seiner Tante Marie
Christine für ihre Geschenke bedankt habe.4 Es
haben sich aber zahlreiche Bilder von ihm er-
halten, die sein künstlerisches Verständnis seit
den Kindertagen in Florenz illustrieren. Dabei
fing es im gemeinsamen Unterricht mit seinem
jüngeren Bruder nicht besonders vielverspre-
chend an. Der Ajo erwischte die beiden, wie sie
Brotkügelchen in die Perücke des gutmütigen
Reißemeisters Magni warfen statt zu zeichnen.5
1781 wurden zwei Köpfe, die die beiden Brüder
gezeichnet hatten, stolz vom Lehrer Manfredini
den Eltern gezeigt und berichtet, daß sie auch
im Zimmer „copirten“, sich also außerhalb des
Unterrichts mit dem Zeichnen die Zeit vertrie-
ben. Seit 1779 besichtigte er mit seinem Ajo die
Florentiner Sammlungen, später besuchte er mit
seinem Vater Manufakturen wie Buchdrucke-
reien, Tuchfabriken, Orgelbauwerkstätten usw.
Später als Kaiser entdeckte er sein Interesse an
der Wachsbossiererei und ließ sich von Leonhard
Posch darin unterrichten.6 Als seine erste Tochter
Ludovika starb, ließ er sie in Wachs nachbilden,
um sie unter einer Glaskuppel in seinem Zimmer
immer vor Augen zu haben. 7
Selbstgemachte Geschenke sind kein Habs-
burger Spezifikum, sondern haben eine lange
Tradition im Adel. Im 16. Jahrhundert waren
es eher (kunst-)handwerkliche Objekte, mit de-
nen man die Standesgenossen erfreute. Kunst-
volle Näharbeiten, vor allem Weißwäsche und
Schnupftücher, Leckereien, Heiltränke und Sal-
4 C. Wolfsgruber, Franz I. Kaiser von Österreich, Wien/Leipzig 1899, Bd. I, S. 59.
5 Wolfsgruber, Franz I. (zit. Anm. 4), S. 164.
6 A. Forschler-Tarrasch, Leonhard Posch. Portraitmedailleur und Bildhauer (1750–1831), Berlin 2002, S. 15.
7 A. Kahr, Faszination oder Abscheu? Studie zum keroplastischen Portrait in Österreich. Materialikonologische As-
pekte anhand ausgewählter Beispiele in österreichischen Sammlungen, phil. Dipl. (unpubl.), Wien 2006, S. 164.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur