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6 1 Einleitung: Wien, jüdische Differenz und Sportfunktionäre
ImMittelpunktunsererUntersuchungstandenSportarten,derenkulturel-
le und politische Bedeutung imWien der Zwischenkriegszeit über das Feld
des Sports hinausging. Das galt zuallererst für den Fußballsport. In unserer
Studie behandeltenwir daneben aber auch etliche Sportverbände, vor allem
das Österreichische Olympische Comité, sowie den Schwimmsport, den Box-
sport,denAlpinismusunddensozialdemokratischenArbeitersport.DieZuge-
hörigkeit zupopulärkulturellenPraxenbildetedasentscheidendeKriteriumfür
die Auswahl einer bestimmten Sportart für diese Untersuchung. Wo die Öf-
fentlichkeitsfunktion eines Sports oder die Medienberichterstattung eine po-
puläre (Massen-)Kultur indizierten, können paradigmatisch Prozesse der ge-
sellschaftlichen Selbst- und Fremdverortung analysiert werden: Gerade dort
fandenöffentlicheDiskussionsprozesse über Jewish difference statt. DiesenBe-
griffder jüdischenDifferenzverstehenwir inAnlehnunganLisaSilverman16als
diskursive Kategorie, mit deren Hilfe vor demHintergrund von Identifikation
und Fremdzuschreibungen ein Verhältnis von sozial konstruierten Kategorien
des „Jüdischen“bzw. „Nichtjüdischen“artikuliertwurde.17
JüdischeDifferenzundPopulärkultur
Nicht zufällig hat Silverman das Konzept von jüdischer Differenz amBeispiel
Österreichs, insbesondere amWiender Zwischenkriegszeit, entwickelt. Indie-
serStadtwardieFragenachdem„Jüdischsein“nach1918vonhöchstergesell-
schaftlicherRelevanz:18 So schriebLudwigHirschfeld im Jahr 1927,dasWiener
Leben sei primär von der Frage bestimmt, ob jemand „ein Jud“ sei, was eine
Person erst einschätzbar, die Leistung einesMenschen erst bewertbarmache.
SelbstdieFrage,ob„derFußballchampionschonvieleGoalsgeschossenhat“,
müsse letztlich anhand der Frage nach der jüdischen Abstammung des Stür-
mers beurteiltwerden.19
Das jüdischeLebenimWienderJahre1918bis1938wirdvielfachalsResul-
tat einerDichotomie (bzw.nachBeller einer„Dialektikder jüdischen Integrati-
onund ihrenWechselwirkungenaufdieWienerUmgebung“)20gesehen.Unse-
re Analysen zum Verhältnis von Sport und jüdischer Differenz legen jedoch
16 Silverman, BecomingAustrians, 5–8.
17 ImFolgendenverwendenwir dendeutschenBegriff desKonzepts.
18 Steven Beller, Was nicht im Baedeker steht. Juden und andere Österreicher imWien der
Zwischenkriegszeit. In:Stern,Eichinger (Hg.),Wienunddie jüdischeErfahrung, 1–16, hier 2.
19 LudwigHirschfeld,Wasnicht imBaedeker steht.WienundBudapest (München 1927) 56.
20 Beller,Wasnicht imBaedeker steht, 6.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918