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Die jüdische Bevölkerung Wiens in der Zwischenkriegszeit 49
BereichenHandel undVerkehr bzw. Transportwesen sowie Industrie undGe-
werbe und in freien Berufen tätig; die nichtjüdische Bevölkerungwar imGe-
gensatz dazu sehr viel stärker inder Land-undForstwirtschaft beschäftigt.9
Die starkeRepräsentation von Judenund Jüdinnen in bestimmtenBerufs-
feldern10 hatte ihre Ursache in den historischen Limitierungen der jüdischen
Bevölkerung hinsichtlich sozialer Handlungsspielräume und Berufswahl, die
bis in das 19. Jahrhundert gültig waren (Gewerbeeinschränkungen für Nicht-
Christen,BarrierenbeimZugangzuakademischenBerufen,Grundbesitzverbot
etc.)11 und wohl auch in der wichtigen Rolle religiöser Studien für jüdische
Knaben und Männer.12 Letztlich brachte diese historische Entwicklung eine
„modernere“ Berufsstruktur und eine höhere sozialeMobilitätmit sich: „Kin-
derausBauern-undArbeiterfamilien[konnten] inweitausgeringeremAusmaß
denhöherenBildungsweganstreben [...] alsKinder ausFamilien, die imHan-
del und Gewerbe, freien Beruf oder im Dienstleistungssektor“13 tätig waren.
Der Zulauf zu Bildungseinrichtungen seitens der Wiener jüdischen Bevölke-
rung lässt sich an der Hörerstatistik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
klarablesen: 1889/90stellten jüdischeStudierendeander juridischenFakultät
derUniversitätWieneinenAnteil von22ProzentderStudierenden,anderme-
dizinischenFakultät 48Prozentundanderphilosophischen 15Prozent.14Von
681 Rechtsanwälten in Wien waren zum selben Zeitpunkt 394 jüdisch, die
Mehrzahl stellten Juden auch unter den Ärzten.15 Diese Zahlen zeigen klar,
dassder sozialeAufstieg jüdischerFamilienabder zweitenHälftedes 19. Jahr-
hunderts in dasMilieu der „Geldaristokratie“ und Intellektuellen desWiener
9 StevenBeller,Wien und die Juden, 1867–1938 (Wien 1993) 57. Vgl. zu diesemThemenkom-
plex auch die Studie vonRozenblit, Juden, insb. 55ff., sowie: K.u.k. Statistische Zentralkom-
mission (Hg.), Die Ergebnisse der Volkszählung vom31. Dezember 1910 (NF, 1. Band, 2. Heft,
Wien 1914) 36, 54f.;Lichtblau, Integration, 479f., 461, 474 (zurBevölkerungsverteilung); Kurt
Schubert, DerWeg zurKatastrophe. In:Der gelbe Stern inÖsterreich, 31–66, hier 39f.;Moser,
Voraussetzungen, 68f.;Goldhammer, JudenWiens, 13f.
10 Vgl. zurDiskussionderselben:Beller,Wien, 53ff.;Lichtblau, Integration, 482ff.;Rozenblit,
Juden, insb. 55ff.
11 Den Erwerb von Liegenschaften durch Juden und Jüdinnen gewährte erst die kaiserliche
Verordnungvom18.Februar 1860;dasEndederEinschränkungen imGewerbe trat durchden
WegfallderaltenZunftordnung1859ein.Vgl.dazuauchMichaelWladika,HitlersVätergenera-
tion. DieUrsprüngedesNationalsozialismus in der k.u.k.Monarchie (Wien 2005) 46f. Gänz-
liche rechtliche Gleichstellung und freien Zugang zu bestimmten akademischen Berufen er-
möglichte schlussendlichdasStaatsgrundgesetz vom21.Dezember 1867.
12 Lichtblau, Integration, 481f.
13 Lichtblau, Integration, 482f.
14 Tietze, Juden, 220.Vgl. auchWladika, Vätergeneration, 46.
15 Tietze, Juden, 220;Wladika, Vätergeneration, 46.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918