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„Bodenständigkeit“ als Metapher 143
nabadrundumdenBegriff der „Bodenständigkeit“ eineantisemitischeAnspra-
chehielt,wurdeerdafür imSport-Tagblattheftig angegriffen:Es sei nicht gut,
„inRedenmit Begriffen zu jonglieren, deren Inhalt nicht feststeht oder die vielleicht gar
keinen Inhalt haben. Vor kurzemwurde auf anderm [sic] Sportgebiet ‚germanische‘ Ab-
stammung gefordert. [...] Diesen Begriff zu Ausfällen gegen andre zu verwenden, ist in
OesterreichebensogefährlichwiemitdemBegriff ‚bodenständig‘ zuoperieren,wieesder
Sprecher imDianabad tat. Sind nur die bodenständig, die – gleichgültigwelchemVolke
sie angehören– seit vielenGenerationen imGebietedesheutigenOesterreich sitzenund
sollen die wirklich germanischen Abkömmlinge nicht anerkannt werden, die in Oester-
reich seit langer Zeit ihreWahlheimathaben?Wir sindüberzeugt, daßgeradeder veran-
staltendeVereinBodenständigkeit nicht als ausschlaggebend für dieAufnahmebetrach-
tenwürde.Wozudennalsodiese Spielerei?Werbei einer solchenVeranstaltung spricht,
muß innerlichaufeinerWarte stehen,diehöher ist alsdasDrei-Meter-Brett, vondemaus
imDiana-BadgewöhnlichRedengehaltenwerden.“131
AberauchdieserText erweist sichalsambivalent:Eswurdenicht einfachpro-
jüdisch argumentiert, sondern primär eineDifferenzierung der Bodenständig-
keit eingefordert: „Bodenständig“seinichtmitDeutschtum,sondernweit eher
mitÖsterreichertumgleichzusetzen.
DieVerwendungdesBegriffes verrät allerdingswenigerüberdenSachver-
halt selbst alsüberdieMenschenundGruppen,die „Bodenständigkeit“ inbe-
stimmter Weise verwenden. In diesem Sinn formulierte im Jahr 1933 der in
WienaufgewachsenepolitischePhilosophErichVoegelin, dass die antisemiti-
scheBeschreibungdes Judentums„nichts überdas Judentum,wohl aber sehr
vielüberdiepositivgewerteteGemeinschaft“aussagt.Konkret schreibtVoege-
lin:„DaseigentümlichedeutscheRingenumeinengeistigenBodenundumdie
IdeedergeistigenBodenständigkeit, ihrescharfeAbhebunggegendie jüdische
Bodenlosigkeit, zeigt nicht so sehr diese als die Problematik der deutschen
‚Bodenständigkeit‘ selbst.“132 Sowurdeumkehrt derWiener Sport-Club, als er
inderÄradesAustrofaschismusmehrmalswegenvermuteternationalsozialis-
tischerTätigkeitüberprüftwurde–ergebnislos–,schlichtals„bodenständiger
Bezirksverein auf strengbürgerlicherGrundlage“ eingeordnet.133
Resümierendkannfestgehaltenwerden:DieZuschreibung„bodenständig“
(bzw. „nichtbodenständig“) konnte situativunterschiedlicherfolgen.DerVor-
wurf,nichtbodenständigzusein,konnteantisemitisch,antiurban,antimigran-
131 Sport-Tagblatt (8. 11. 1935) 2.
132 ErichVoegelin, RasseundStaat (Tübingen 1933) 207.VoegelinmusstenachderAnnexion
1938ausÖsterreich fliehen.Überdie Schweiz gelangte er indieUSA.
133 Vgl. Polizei-Direktion inWien,Vereins-Bureau,Berichte v. 20.9. 1933u. 12. 2. 1937,Archiv
Wiener Sportclub/Dr.MartinDrahos. Zit.n.Rosenberg,Spitaler, Grün-weiß, 57.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918