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Sprachvariation und gesprochene Sprache | 103
sich Vertreter der Sprechakttheorie aber eher auf einzelne Sätze bzw. Äußerun-
gen konzentrieren und diese v.a. im Hinblick auf sprachliche Prozesse beim
Sprecher/bei der Sprecherin beschreiben, ist im Rahmen der funktional-
pragmatischen Ansätze die Sprecher-Hörer-Interaktion als Kooperation zentral,
wobei der Fokus hier v.a. auf der Kooperation im Wissenstransfer und damit auf
den mentalen Prozessen der Gesprächsteilnehmer/-innen liegt.148 Sätze spielen
in diesem kooperativen Wissenstransfer keine bedeutendere Rolle als andere
Elemente sprachlichen Handelns. Ehlich (1998: 61; Hervorhebung im Original)
hält fest: Der Satz als „scheinbar elementare Form von Sprache“ ist daher „als
eine nicht allgemeine, sondern als eine spezifische Form des sprachlichen Han-
delns zu interpretieren.“ Als Grundeinheit sprachlichen Handelns wird nicht
der Satz, sondern die sprachliche Prozedur angesehen. Sprachliche Prozeduren
werden definiert als:
einzelne Tätigkeiten der kommunikativen Interaktanten, durch die die Sprecher Verstän-
digung mit den Hörern erzielen. Sie gehen zu einem großen Teil in die Konstituierung sys-
tematisch komplexerer sprachlicher Handlungsformen, insbesondere des propositionalen
und des illokutiven Aktes, und darüber in die Konstituierung von Sprechhandlungen ein.
Sie können z.T. aber ihre Handlungszwecke auch vollständig in sich erfüllen und sind
dann selbstsuffizient, bedürfen also zu ihrer Realisierung einer derartigen zusätzlichen In-
tegration nicht, um kommunikativ effizient zu sein. (Ehlich 2007c: 91)
Die Orientierung an sprachlichen Prozeduren soll ein Loslösen von der illokuti-
ven Ebene in der Sprechakttheorie als Zusatz zur schriftbezogen entwickelten
Kategorie der Proposition ermöglichen. Die Kategorie der sprachlichen Prozedur
sei dem Satz bzw. der Illokution vorzuziehen, da „eben in Prozeduren, und
nicht in den Akten und nicht in den Handlungen als ganzen, genau dieses Zu-
sammenkommen von Struktur und Funktion und damit der Ressourcencharak-
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als Energeia; vgl. 1830-35), im Spätwerk Wittgensteins (mit seinem Fokus auf Sprache im Rah-
men der ordinary language philosophy, vgl. Philosophische Untersuchungen (1953/2001)) und
durch Bühler (mit seiner Auffassung von Sprache als „Werkzeug“, vgl. (1934)) vorbereitet, aus
linguistischer Perspektive dann schließlich durch Austin (1962), Searle (1969) und auch
Coseriu (1975) etabliert. Für einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung pragmatischer
Ansätze in der Sprachwissenschaft sei auf Ernst (2002: 63) verwiesen.
148 Ehlich und andere Vertreter der FP beschreiben diese mentalen Vorgänge als „Wissens-
mobilisierung“ bzw. eine gegenseitige Aktualisierung der Wissenssysteme von Sprecher und
Hörer. So schreibt etwa Ehlich: „Damit Wissensmobilisierung beim Hörer überhaupt möglich
ist, muß die Vielfältigkeit und Diffusität seines Wissens in einer spezifischen Weise aktuali-
siert, aus der Assoziationspotenz in die Realität konkreter einzelner Assoziationen gebracht
werden. Dieses Erfordernis besteht beim größten Teil der sprachlichen Handlungen“ (Ehlich
1998: 62).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Titel
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Untertitel
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Autor
- Melanie Lenzhofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Abmessungen
- 14.8 x 22.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute