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238 | Empirische Analysen
u.a. in Komplementsätzen nach Verba dicendi und sentiendi sowie in Relativ-
satzkonstruktionen. In Bezug auf die Osttiroler Jugendkommunikation kann
diese Annahme empirisch nicht vollends bestätigt werden. Von den drei unter-
suchten Phänomenbereichen – den weil-Konstruktionen, Rela-
tiv(satz)konstruktionen und Komplementsatzkonstruktionen – konnte lediglich
für letztere eine leichte Tendenz zur häufigeren Realisierung der Variante mit
Verbzweitstellung beobachtet werden, wenn auch die Untersuchung zum Grad
der Satzkomplexität in den drei Teilkorpora JD, ED und GF insgesamt eine Prä-
ferenz für aggregative Satzkonstruktionen in den Freizeitgesprächen der ju-
gendlichen im Vergleich mit den erwachsenen Proband/-innen aus Osttirol und
den standardnahen Gesprächen aus Teilkorpus GF ergeben hat.
Generell ist festzuhalten, dass eine Tendenz zu Verbzweitstellung in münd-
licher Kommunikation den Produktions- und Rezeptionsbedingungen gespro-
chener Sprache (Linearität, Dialogizität und Interaktion, Zeit- und Handlungs-
druck) entspricht. Durch Konnektoren Verstehensanweisungen für die
folgenden sprachlichen Elemente bei gleich-zeitiger informationsstruktureller
Freiheit geben zu können, „passt“ also zu den Gegebenheiten mündlicher
Kommunikation, weshalb eine Ausdehnung von weil-Konstruktionen mit Verb-
zweitstellung in ähnlichen funktionalen Kontexten auf die geschriebene Spra-
che wohl nicht im gleichen Ausmaß zu erwarten ist.300 In der Beschäftigung mit
den verschiedenen Gebrauchskontexten der Konnektoren zeigt sich aber in
jedem Fall die Notwendigkeit, die Polyfunktionalität sprachlicher Formen in
den zugrundeliegenden theoretischen Konzeptionen zu berücksichtigen.
Konnektoren wie weil, obwohl, wobei u.a. können ja – infolge von Grammatika-
lisierungsprozessen – auch als Diskursmarker in mündlicher Kommunikation
spezifische kommunikative Funktionen erfüllen. Anhand der funktional-
pragmatischen Annahme sprachlicher Prozeduren lässt sich dieser Vorgang gut
fassen: weil kann prozedural unterschiedlich eingesetzt werden – als (para-
)operative Prozedur301, um eine kausale Verknüpfung zum Bezugssatz herzustel-
||
300 Die Häufigkeit des Vorkommens von weil-Konstruktionen, Relativ(satz)konstruktionen
oder auch abhängigen Komplementsätzen mit Verbzweitstellung in schriftlicher Kommunika-
tion hängt dabei natürlich wieder stark von den kommunikativen Bedingungen, der Textsorte
etc. ab. Geschriebene Texte der Belletristik (vgl. z.B. die „Brenner-Romane“ von Wolf Haas)
verwenden mitunter Verbzweitstellung in Konstruktionen mit normgrammatisch erwartbarer
Verbletztstellung, um spezifische (ästhetische) Wirkungen zu erzielen.
301 Der Konnektor weil ist sprachhistorisch gesehen keine genuin operative Prozedur, son-
dern entstand aus einer Feldtransposition aus dem Symolfeldausdruck wîle ('Weile') heraus,
das einen Zeitverlauf anzeigt. Zur detaillierten Beschreibung der funktionalen Etymologie vgl.
Thielmann (2009: Kap. 3.8.1.).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Titel
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Untertitel
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Autor
- Melanie Lenzhofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Abmessungen
- 14.8 x 22.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute