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gar nicht lobenswert. Gassen so eng, dass Wägen nicht durchkommen, fins-
ter und schmutzig, halbverfallene Häuser, und dazu noch unerträgliche hy-
gienische Zustände. Buje war „in einem Grade unreinlich, wie ich nur Juden-
Dörfer in Ost-Galizien gefunden zu haben mich erinnere.“ Heute würde man
angesichts der Zustände, die Raimann schildert, anstelle der galizischen „Ju-
den-Dörfer“145 wohl das finstere Mittelalter als Vergleich bemühen, oder
aber anstatt der zeitlichen die räumliche Entfernung strapazieren und auf
Slums in sogenannten Entwicklungsländern der Dritten Welt verweisen. Die
Kammer, in der Raimanns Diener untergebracht war, war licht- und luftbe-
dürftig, und Raimanns Zimmer „beschenkte mich mit braunem sowohl
springenden als auch beißenden Ungeziefer, und während der Nacht nagten
Ratzen oder doch größere Mäuse an den Dielen, so daß ich es nöthlich fand
aufzustehen, und meine Pantoffeln, etc. auf den Tisch u auf Sessel in Sicher-
heit zu bringen.“ Immerhin, die Hausfrau, eine „Beamtensgattin“, war höf-
lich und mit einer venezianischen Halskette geschmückt, und ihre kleine
Tochter plauderte mit dem Arzt auf Italienisch. Aber das konnte die zwar an
Einfachheit, aber nicht an Schmutz und Ungeziefer gewohnten Ansprüche
eines Biedermeier-Menschen, der die Heimeligkeit, aber nicht die Verwahr-
losung schätzte, nicht genügen.146 Auch außerhalb des Hauses fand sich die-
selbe Unreinlichkeit: „Ein abscheulicher Koth, welcher mir es fast unmög-
lich machte über die Fahrstraße in die ziemlich gut gebaute Residenz Se.
Maj. zu kommen setzte der Schilderung des theils traurigen theils eckelhaf-
ten Ortes die Krone auf.“ Gottlob logierte wenigstens Seine Majestät der
Kaiser in einer „ziemlich gut gebauten Residenz“! Jedoch, selbst die Esssit-
ten der Bewohner Bujes erregten Raimanns Widerwillen, musste er doch
mitansehen, „wie Soldaten und andere Menschen Seespinnen u Meerkrebse,
die man auf der Gasse gesotten feil both, ganz kurz mit den Händen zerrißen
und verzehrten.“ Raimann muss froh gewesen sein, als er am nächsten Tag
Buje verlassen konnte.
145 Zu den Verhältnissen in Galizien vgl. Christoph Augustynowicz, Andreas Kappeler
(Hrsg.), Die galizische Grenze 1772-1867: Kommunikation oder Isolation (Wien, Berlin
2007).
146 Zu Lebens- und auch Wohngefühl der Menschen zur Biedermeierzeit vgl. Hans Otto-
meyer, Klaus Albrecht Schröder, Laurie Winters (Hrsg.), Biedermeier. Die Erfindung der
Einfachheit. Ausstellungskatalog (Ostfildern 2006); Hedwig Zdradil, Biedermeier rund
um Wien (Wien, München 1986). Zur Geschichte des Wohnens im allgemeinen vgl.
Bernd Fuhrmann u.a., Geschichte des Wohnens. Vom Mittelalter bis heute (Darmstadt
2008).
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832