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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
endet mit jenem über der Ausgangstür der letzten Wand.109 Zwischen dem ersten und
dem letzten Bild eines Zimmers verzeichnete Mechel die Gemälde nach keinem festgeleg-
ten Schema, was bei der großen Menge an Gemälden pro Wand eine Vielzahl an Varian-
ten möglich macht, jedoch lassen sich im Verhältnis von Nummernabfolge und Wand-
arrangement gewisse ,Muster‘ ausmachen. Dazu zählt die Durchzählung der Gemälde
Reihe für Reihe, allerdings nicht in Lesemanier Zeile für Zeile von links nach rechts, son-
dern furchenwendig (von rechts nach links, links nach rechts und rechts nach links u.s.w.)
die Reihen durchlaufend. Ebenso wird zuweilen – wie im Düsseldorfer Galeriewerk – das
zentrale monumentale Gemälde zuerst genannt, gefolgt von den angrenzenden Pendant-
bildern. Die Verzeichnung folgt nicht nur der Geh-, sondern auch der Blickrichtung im Par-
cours der Räume. Befand sich das zuletzt beschriebene Gemälde einer Wand in unterster
Reihe links, dann schließt zumeist das an der nächsten Wand zuerst verzeichnete Bild
rechts unten an. Zur besseren Betrachtung wurden großfigurige Gemälde weiter oben,
kleinfigurige weiter unten angebracht. Diese Schemata der Verzeichnung berücksichti-
gend, ließ sich mit Hilfe des Katalogs eine Hypothese der Neuhängung der kaiserlichen
Galerie von 1781 rekonstruieren.
Darauf, dass Mechel am Prinzip der symmetrischen Pendanthängung festhielt, ver-
weist auch, dass nur wenige Monate vor Vollendung der Neuaufstellung 1781 Wenzel
Anton von Kaunitz-Rietberg in die Aufstellung eingriff, damit – wie er merklich besorgt
Kaiser Joseph II. schilderte – die Hängung mehr der Norm der Symmetrie entsprechen
würde: „Zugleich habe ich versucht symmetrischer zu hängen, als es bisher der Fall war,
denn es ist keinesfalls gleichgültig, dass das Auge der Menge gleichermaßen, von dem
was es sieht, befriedigt wird, wie das des gelehrten und intelligenten Menschen. […].“110
Dass Kaunitz explizit das ordnende Prinzip der Symmetrie für die heterogene Menge des
Publikums, der Dilettanten wie der Connaisseurs – „multitude“111 – einforderte, kann als
Hinweis darauf gesehen werden, dass die Pendanthängung im späten 18. Jahrhunderts zu
einer für alle verständlichen Sehgewohnheit geworden war.
Dabei ging es nicht so sehr um die breite Akzeptanz einer dekorativen Ordnung, son-
dern darum, dass die Schönheit der symmetrischen Hängung die Imaginationskraft der
Betrachter wecken und ihren Intellekt herausfordern sollte – oder, wie es Karl Heinrich von
Heineken im „Avertissement“ des 100 Meisterwerke der Dresdner Galerie umfassenden
Recueil d’estampes d’après les plus célèbres tableaux de la Galerie Royale de Dresde formuliert:
„Eine Ansammlung schöner Gemälde, symmetrisch und intelligent geordnet, vermag die
Vorstellungskraft anzuregen und die Seele des Betrachters zu erheben; es ist ganz natür-
lich, dass diese Unendlichkeit der Gegenstände unseren Wunsch anspornt, jene Kenntnis-
se zu erlangen, welche uns noch fehlen. Derjenige, der die Galerie eine öffentliche Schule
nennt, begegnet ihr nicht schlecht, weil er mit einem Blick und an einem Ort erfährt, was
er anderswo gezwungen ist, in vielen Büchern zu suchen.“112
Die Hängung der kaiserlichen Galerie war darauf ausgerichtet, durch visuell herge-
stellte Verhältnisse und Zusammenhänge zwischen den Gemälden das ihr zugrunde-
liegende kunsthistorische Konzept anschaulich und allgemein verständlich zu machen. Da
die Gemälde zwar nach dem Pendantsystem gehängt, aber nach einem abstrakten
Zählmuster verzeichnet wurden, das keinerlei Aufschluss über die diskursive Beziehung der
einzelnen Gemälde an der Wand zueinander gibt, bildet die virtuelle Rekonstruktion der
kaiserlichen Galerie von 1781 eine wesentliche Basis zur Überprüfung der theoretischen
Grundlagen. Diese erschließen sich aus dem Vorwort, dem „Vorbericht“, des Katalogs. Ob
und wie sie zur realen Umsetzung kamen, lässt sich anhand der (virtuellen) Rekonstruktion
nachvollziehen. Im Folgenden wird deshalb zwischen der Analyse des Vorworts im
Mechel-Katalog und der Beschreibung der (rekonstruierten) Galerieräume hin- und herge-
sprungen.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur