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61 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Kunst abschloss. Dass Mechel in
der historischen Entwicklung
der niederländischen und der
deutschen Kunst ebenfalls vier
Epochen unterschied, die er in
jeweils vier Zimmern in den bei-
den Flügeln des zweiten Stocks
zeigte, mag dem Zufall der
übernommenen Raumanzahl
des Belvedere zuzuschreiben
sein, stellt aber zumindest eine
auffallende Parallele dar.
Auch die neuzeitliche Male-
rei umfasste bei Winckelmann
vier Hauptphasen, deren Ge-
samtentwicklung trotz Höhen
und Tiefen jedoch nicht als Qua-
litätsteigerung, sondern – nega-
tiv gewendet – als Niedergang
beschrieben wird, den auch
Künstler wie Raffael nicht aufhalten konnten.165 Selbstredend thematisierte die Inszenie-
rung der kaiserlichen Sammlung nicht den Verfall der Malerei. Da Mechel – für den zwei-
ten Stock – eine Entwicklung von den primitiven Anfängen zur höchsten Vollendung de-
klariert, aber den eigentlichen normativen Höhepunkt den Œuvres von Rubens, Van Dyck
und Teniers vorbehält, kann man darin wohl den spiegelverkehrten Winckelmannschen
Modus erkennen.
Die Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Werk Winckelmanns dürfte Mechel
sein Lehrer und Mentor Johann Georg Wille gegeben haben. Wille, der nach dem ersten
internationalen Erfolg Winckelmanns, den Gedanken über die Nachahmung,166 den Kon-
takt zum berühmten Autor gesucht und dessen nachfolgende französische Edition der
Geschichte der Kunst des Alterthums substantiell unterstützt hatte, gilt als der eigentliche
Vermittler der Ideen Winckelmanns in Frankreich.167 Ihm dürfte Mechel auch den Kon-
takt zu Winckelmann verdanken, der 1766 zum Aufenthalt bei diesem in Rom führte.
Mechel schloss dort enge Freundschaft mit Winckelmann und korrespondierte bis zu
dessen Tod 1768 mit ihm.168 In dem kontinuierlich geführten Briefwechsel erwähnt Win-
ckelmann mehrmals die geplante neue und erweiterte Ausgabe der Geschichte der Kunst
des Alter thums.169 Winckelmann dachte zunächst aus verlagsrechtlichen Gründen – sein
Dresdner Verleger Walther wollte zuerst die erste deutsche Auflage absetzen – an eine
französische Ausgabe, weil auch die Übersetzung von 1766 nicht Winckelmanns Ansprü-
chen entsprach. Mechel sollte ihm dabei den Drucker vermitteln. Für seine Hilfe dankte
er ihm wenig später: er wolle den Druck in Berlin persönlich überwachen.170 Die
beschriebene Edi tion kam zu Lebzeiten Winckelmanns nicht mehr zustande, besagtes
Manuskript führte Winckelmann auf seiner Rückreise von Wien, wo er – auf Vermittlung
des Staatskanzlers Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg – von Kaiserin Maria Theresia empfan-
gen worden ist, nach Italien mit sich. Nach Winckelmanns Ermordung 1768 in Triest
gelangte eben dieses Material an seinen Erben Kardinal Alessandro Albani in Rom und
von diesem an Kaunitz in Wien.171 Kaunitz ließ 1776 durch die Wiener Akademie und
unter seinem Protektorat die zweite deutsche Edition der Geschichte der Kunst des
Alterthums unter der Herausgabe von Friedrich Justus Riedel publizieren, zu deren
Subskribenten Mechel zählte.172 Abb. 38
„Dritte Wand, dem Eingang gegenüber“
im zweiten Zimmer („Gemälde der alten
Niederländischen Meister“) der niederlän-
dischen Schule im zweiten Stock des Oberen
Belvedere. Digitale Rekonstruktion nach
Mechel 1783 (Rekonstruktion: Autorin)
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur