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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Nationale Kunstgeschichte
Im Sinne einer historischen
Perspektive und analog zu
den Niederländern im zwei-
ten Stock schreitet Mechel
auch im gegenüberliegen-
den Flügel die Geschichte
deutscher Malerei Raum für
Raum gleichsam im Parcours
ab, und zwar chronologisch
vom Ende des 13. Jahrhun-
derts bis zum späten 18. Jahr-
hundert: „Gemälde der ältes-
ten Teutschen Meister“ im
ersten Zimmer bis etwa
1580, „Gemälde der alten
Teutschen Meister“ im zwei-
ten bis etwa 1680, „Gemälde
Teutscher Meister“ im dritten
bis etwa 1740, „Gemälde der
neuern Teutschen Meister“, also Zeitgenossen, im vierten und letzten Zimmer.173 (Abb. 41)
Die historische Rekonstruktion der deutschen Malerei in einer chronologischen Per-
spektive, wie sie Mechel in der Galerieaufstellung konzipiert hat, konnte sich auf keine Er-
fahrung berufen. Auch in keiner Graphiksammlung war eine derartige Zusammenstellung
je versucht worden. Die Erkenntnisse der zeitgenössischen Fachliteratur, die theoretische
Modelle und gegenstandsspezifische Methoden lieferte, blieben im Fall der deutschen
Kunst meist in der historiographischen Tradition der Künstlervita verwurzelt – was im Prin-
zip eine chronologische Sichtweise voraussetzt, aber zu keiner Gesamtdarstellung deut-
scher Kunst führte, wie sie Mechel bahnbrechend in der Galerie veranschaulicht hat.174
Eine Ausnahme bildete die kurze biographische Studie zu Lucas Cranach d.Ä. des Leip-
ziger Universitätsprofessors für Altphilologie und Archäologie Johann Friedrich Christ.175
Diese Biographie war 1726 als Teil eines projektierten Künstlerlexikons publiziert worden,
das jedoch in seiner Gesamtheit nicht verwirklicht wurde. Auch für Christ gab das Schul-
modell den geeigneten Rahmen vor, die künstlerische Entwicklung des Künstlers in eine
allgemeine Kunstgeschichte einzuordnen. Dabei empfahl er nicht nur eine Einteilung nach
Malerschulen, sondern forderte dezidiert die Unterscheidung zwischen deutscher und nie-
derländischer Malerei, die sich selbst im renommierten Recueil d’estampes noch nicht
durchgesetzt hatte. Für die deutsche Schule entwickelte Christ eine Einteilung in aufeinan-
derfolgende Epochen. Demnach heißen bei Christ die deutschen Künstler vom ausgehen-
den 15. Jahrhundert bis 1580 „die Aeltern“, bis 1680 „die Mittlern“ und von da an „die
neuern Teutschen Künstler“. Übereinstimmende Zeitabschnitte finden sich auch bei der
von Mechel vorgenommenen Periodisierung der deutschen Schule. Den Vorteil dieser Ein-
teilung erklärt Christ damit, dass sie „zu Behuff der Kunst-Critique, so wohl als die fernern
Subdistrictiones in die Schulen jeder Nation besonders Licht gibt.“176
Dass die historische Konzeption Christs am Beispiel Cranach Resonanz gefunden hat,177
zeigt sich noch eine Generationen später in Christian Ludwig Hagedorns 1755 erschiene-
ner Lettre à un Amateur de la Peinture avec des eclairissemens historiques sur un cabinet et les
auteurs des tableaux, qui le composent,180 die zwar mit der Absicht verfasst und publiziert
worden war, die eigene Sammlung potentiellen Käufern bekannt zu machen, jedoch in ih-
rer inhaltlichen Ausweitung über die üblichen Verkaufskataloge hinausging.181 Methodisch
Abb. 39
„Dritte Wand, zur Linken des Eingangs“ im
dritten Zimmer („Gemälde Niederländischer
Meister“) der niederländischen Schule im
zweiten Stock des Oberen Belvedere. Digitale
Rekonstruktion nach Mechel 1783
(Rekonstruktion: Autorin)
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur