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Hoppe-Harnoncourt Altdeutsche Malereischule
Kunst ausmachen, darin werden mir wohl alle Sachkundigen beystimmen, wenn diese Al-
terthümer erst allgemeiner bekannt seyn werden.“50 Mit solchen Worten und Ansichten
brachte Schlegel das ästhetische Empfinden der Frühromantiker zum Ausdruck. Eine Grup-
pe junger Kunststudenten der Wiener Akademie folgte in ihrer künstlerischen Ausrichtung
dem von Schlegel formulierten Ansinnen: Die Bildthemen und Ausdrucksformen sowie
Formen und Farben der älteren Meister des 14. und 15. Jahrhunderts wurden zum Vorbild,
um dem gefühlvollen Aspekt ihres Kunstschaffens näher zu kommen. Dieser Kreis um Jo-
hann Friedrich Overbeck und Franz Pforr vereinigte sich bekanntlich 1809 zum Lukasbund.
Ihre Herangehensweise stand im Kontrast zum akademischen Lehrwesen, welches das
handwerkliche Können nach vorgegebenen Formen in den Vordergrund gestellt hatte.51
Das klassizistisch geprägte Lehrwesen an der Akademie und die Gemäldegalerie
Die Wiener Akademie war eine von höchsten politischen Ebenen geförderte Institu tion:
Staatskanzler Kaunitz agierte seit der Reorganisation der Akademien 1772 bis zu seinem
Tod 1794 als engagierter Protektor.52 Er förderte unter anderem auch die Karriere des
jungen Malers Heinrich Friedrich Füger und konnte ihn nach einem Rom-Stipendium an
Wien binden. Ab 1782 war Füger an der Akademie tätig, ab 1795 sogar in leitender
Funktion als ihr Direktor. Während seines Wirkens wurde die Akademie europaweit als
klassizistisch geprägte, nach strengen Lehrregeln agierende Bildungsstätte bekannt.53
Dieser gute Ruf als Kunstschule war wohl der Grund, weshalb junge, gebildete Männer
wie Overbeck und Pforr im ersten Jahrzehnt nach Wien kamen. Während sie anfangs
noch beharrlich nach Gipsabgüssen und Reproduktionen das Zeichnen zu erlernen hat-
ten, vollzog sich neben der Ablehnung der Lehrmethoden der Akademie auch eine inne-
re Distanzierung vom klassizistischen Kunstideal.54
Im 18. Jahrhundert wurde die kaiserliche Gemäldegalerie auch für angehende Künstler
geöffnet und war daher für die akademische Ausbildung von Bedeutung: zum einen für
die kunsthistorische Ausbildung, und zum anderen, um die praktischen Fähigkeiten an-
hand von Meisterwerken zu schulen.55 Im Vorfeld der Reorganisation der Akademien von
1772 setzte sich unter anderen Kaunitz dafür ein, dass die kaiserliche Bildergalerie für Stu-
denten zugänglich gemacht werde.56 Dieses Privileg konnte er für die Akademie durchset-
zen und so wurde es in der Belvedere-Galerie Usus, dass die Schüler nach ihrer Wahl in der
Gemäldegalerie kopieren durften. Als Galeriedirektor Josef Rosa dies 1798 aus konservato-
rischen Gründen in Frage stellte, reagierten die Funktionäre der Akademie mit Protest.
Durch ein kaiserliches Dekret wurde das Anliegen, die Galerie als Ort der Lehre für Kunst-
studenten zu sehen, bestärkt; die Schüler durften weiterhin vorbehaltlich der Zustimmung
des Galeriedirektors Gemälde nach ihrem Wunsch kopieren.57 Die Verflechtung der Inter-
essen beider Institutionen wird im Vorfeld der Ernennung Fügers zum Galeriedirektor be-
sonders augenscheinlich: Nach Joseph Rosas sen. Rücktritt erstellten die Verantwortlichen
der Akademie ein Gutachten über die notwendigen Fähigkeiten des künftigen Galerie-
direktors. Ihr eigener Direktor Füger bewarb sich erfolgreich und übernahm von 1806 bis
1818 die Leitung der Gemäldegalerie.58 Auch wenn er seinen Posten an der Akademie zu-
rücklegte, führte das zu keinem Wechsel der Lehrmethode,59 für die er sich weiterhin per-
sönlich engagierte: Als Galeriedirektor oblag ihm die Entscheidung, welche Schüler der
Akademie gut genug wären, um nach Originalen im Belvedere kopieren zu dürfen.60 Sein
weitreichender Einfluss zeigte sich auch 1811 bei einem denkwürdigen Konflikt mit dem
noch in Wien verbliebenen Vertreter des Lukasbundes Josef Sutter: Das Unverständnis der
Professoren für die künstlerischen Ambitionen der Jungen kam offen zum Ausdruck.61 Fü-
ger war nun Direktor einer Galerie, die seit 25 Jahren die Besonderheit einer Gemäldeschu-
le der „alten deutschen Meister“ hatte. Allerdings steht sein Verständnis für die alte Kunst
nicht im Einklang mit den neuen geistesgeschichtlichen und künstlerischen Strömungen.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur