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Wolf Museumskulturen
So kommen im Rahmen preußischer und kaiserlicher ‚Kulturpolitik‘52 der Pergamonaltar
(ab 1878), das Ishtartor, das Markttor von Milet und die Fassade des Wüstenschlosses von
Mshatta nach Berlin. Was mit den Elgin Marbles in London vorgespielt worden war, dass
scheinbar immobile Dinge transferiert und museal neu bzw. invertiert aufgebaut werden
können, steht ab ca. 1890 in der Verkehrung von Außen und Innen beim Pergamonaltar,
mit dem dramatischen Pathos der Gigantomachie, in Berlin vor den Augen der Wissen-
schaft wie des allgemeinen Publikums. Dies sollte einen neuen „impact“ von Museums-
politik auf den kunstgeschichtlichem Diskurs favorisieren, jenen der ‚Erfindung‘ des Barock
bei Wölfflin u.a., wie Alina Payne gezeigt hat.53 In analoger Weise läßt sich die Rolle der
Mshatta Fassade für die Formierung der islamischen Kunstgeschichte analysieren.54 Dass
in Wien nicht die Antikensammlung und nicht die Gemäldegalerie in Sempers Kunsthisto-
rischem Museum den Bezugspunkt für die Anfänge der Wiener Schule bildeten, sondern
das Museum für Kunst und Industrie, aus dem später das MAK hervorging, ist ein anderes
Kapitel in der Geschichte dieser Beziehung.
7. SCHLUSS: ZWEI EUROPAKONZEPTE UND DAS MUSEUM ALS
MOBILER ORT
In der vorausgehenden tour d’horizon ging es um das Wechselspiel und die Komple-
mentarität der musealen und wissenschaftlichen Diskurse wie Praktiken in der Zeit vor der
akademischen Etablierung der Kunstgeschichte, in der zugleich Voraussetzungen geschaf-
fen wurden für letztere. Der Weg führte von Wien oder Florenz nach Paris und Rom sowie
London und Berlin bzw. skizzierte als Wechselgang das Thema der musealen Entschälung,
Konfrontationen bzw. Suprapositionen einer reinen Antike und einer reinen Malerei:
letztere in Schulen gegliedert in einer historischen wie geographischen Ordnung, erstere
aufgestellt nach unterschiedlichen ikonographischen oder ästhetischen Kriterien. Wenn
Winckelmann eine Geschichte der Kunst des Altertums geschrieben hatte, so war es in den
Museumsordnungen nun primär die neuzeitliche Malerei, in der kunstgeschichtliche
Modelle elaboriert wurden. All dies bedeutete zugleich das Auflösen und Zerreißen alter
Sammlungstopographien, den Transfer über kurze wie weite Distanzen, durch Kunst-
handel, neue Sammlungskonzepte und/oder Beutezüge. Oft geschieht dies mit politi-
schem oder gar imperialem Anspruch; darin wiederum lässt sich ein Wandel der Konzepte
von Wien bis Berlin beobachten. Im Gegenzug zu diesem Transfer im großen Stil gibt es
das Insistieren auf einer kontextuellen Verortung der Werke bzw. Schulen, von antiker
Skulptur wie Malerei, der Betonung der Wichtigkeit des Lokalkolorit und der Gedächtnis-
orte, wofür Rom einsteht. Damit sind wir zwei Europakonzepten begegnet, die beide in
Paris verhandelt wurden: jenes Quatremères der universalen Idee Roms als Hauptstadt
einer elitären europäischen Republik der Künste (sozusagen unter päpstlichem Schutz),
die zugleich einer Gedächtnistopographie, einem localism und einer regionalen Diversifi-
kation huldigt und das antike Rom unter der Hand als ein anderes Paris dekonstruiert
(denn es habe ja Athen und die eroberten Städte und Provinzen ausgeplündert). Dagegen
steht der zentralistische Europagedanke von Paris als neuem Athen, der Versammlung und
dem Dialog seiner befreiten Meisterwerke (unter den Prämissen der Revolution und später
dem imperialen ‚Schutz‘ Napoleons). Er wurde in die Tat umgesetzt durch Akte der Gewalt
und in den Dienst der Ansprüche und der Repräsentation Napoleons gestellt, zugleich
aber von einer europäischen Elite jenseits derselben zelebriert, weil die musealen Ensembles
und die Werke eben nicht vollständig in der imperialen Geste des Musée Napoléon aufgin-
gen, insofern wiederum ‚frei‘ wurden für wissenschaftliche und kulturelle Zuschreibungen.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur