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DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN
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Ländern an der Verabschiedung von Verbotsgesetzen ohne ›Referenz- oder
Ausnahmeklauseln‹ (Bremen und Niedersachsen) mitgewirkt. Nur in Berlin
waren die treibenden Kräfte SPD und Die Linke.PDS, während die CDU das
›Neutralitätsgesetz‹ in seiner laizitären Eindeutigkeit abgelehnt hat. Der Pro-
filierungseffekt ist in den acht Bundesländern, in denen ein gesetzliches Ver-
bot realisiert wurde, wenn überhaupt so wohl nur zu Gunsten der regierenden
Parteien eingetreten, aber das partielle Mitstimmen von Oppositionsparteien,
etwa der SPD in Baden-Württemberg, zeigt, dass man sich als SPD wohl
einen politischen Pluspunkt erhoffte, ein solches Gesetz zu unterstützen. In-
sofern ist anzunehmen, dass Parteien auch populistisch-opportunistische
Gründe für ihr Engagement beim gesetzlichen Verbot von Kopftüchern bzw.
religiöser Kleidung für Lehrkräfte hatten. Die SPD verhielt sich, wie Christian
Henkes und Sascha Kneip zeigen, höchst uneinheitlich, was aber auch mit
ihrer schwierigen und dilemmatischen Position im Parteiengefüge korreliert.
Das standhafte Widerstehen aus liberalen Erwägungen oder multikulturellen
Sympathien war überall allein den Grünen und partiell der FDP, soweit sie
nicht an der Landesregierung beteiligt war, vorbehalten, wodurch auch diese
Parteien antizipierte Erwartungen ihrer Wähler/innen/klientel erfüllten. Die
ostdeutschen Bundesländer hielten sich klugerweise heraus, denn für die dort
regierende CDU oder SPD bestand mangels Muslime in ihren Ländern wenig
Handlungsdruck und wegen der DDR-Vergangenheit und der säkularen
Orientierung der Bevölkerung auch kein Anreiz, christliche Traditionen ent-
gegen der Mehrheitshaltung der Bevölkerung hochzuhalten.
Geschlechtergleichberechtigung als Vorwand
für islamophobe Abgrenzung?
Ein Hauptthema, anhand dessen sich die Anpassung der Migrant/inn/en for-
dern lässt, aber auch Abgrenzung gegenüber ›Rückständigen‹ und wert- und
kulturpolitisch Minderbemittelten zum Ausdruck bringen lässt, sind die Ge-
schlechterverhältnisse in muslimischen Bevölkerungskreisen (Rostock/Berg-
hahn 2008). Sie werden fast einheitlich als patriarchalisch und gewaltförmig
imaginiert. Das Kopftuch steht aus dieser Vorurteilsperspektive geradezu für
ein familiäres und kulturelles Klima, in dem Zwangsheiraten und gewaltsame
Unterwerfungen der Frauen durch Ehemänner, Väter und Brüder unter
Deutschlands 3,2 Millionen Muslimen an der Tagesordnung sind. Dass tat-
sächlich mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen in bestimmten migranti-
schen Gemeinschaften und Familien sozialwissenschaftlich festgestellt wurde
(Schröttle 2006; Pfeiffer 2005), wird zwar gerne als Bestätigung dieses
Pauschalurteils verwendet (siehe auch Holzleithner und Rommelspacher in
diesem Band), kann jedoch wegen der sozialstrukturellen Unterschiede zwi-
schen der muslimischen, vor allem türkischen und der mehrheitsdeutschen
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik