Seite - 208 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Bild der Seite - 208 -
Text der Seite - 208 -
ERNST GOTTFRIED MAHRENHOLZ
208
4. Das Glaubensrecht auf das Kopftuch und das
Abwehrrecht der Eltern und Schüler (Art. 4 Abs.
1, 2 und Art. 6 Abs. 2 GG)
Der Schlüsselsatz des ›Kopftuchurteils‹ lautet:
»Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht
durch Lehrkräfte kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag,
das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und
Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung
der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, die zu einer Störung des Schul-
friedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kön-
nen. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu
interpretierende Bekleidung von Lehrern kann diese Wirkungen haben. Dabei handelt
es sich aber lediglich um abstrakte Gefahren. Sollen bereits derartige bloße Mög-
lichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts aufgrund des Auftretens der Lehr-
kraft und nicht erst ein konkretes Verhalten, das sich als Versuch einer Beeinflussung
oder gar Missionierung der anvertrauten Schulkinder darstellt, als Verletzung be-
amtenrechtlicher Pflichten oder als die Berufung in das Beamtenverhältnis hindernder
Mangel der Eignung bewertet werden, so setzt dies, weil damit die Einschränkung des
vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art. 4 I und II GG einhergeht, eine hin-
reichend bestimmte gesetzliche Grundlage voraus, die dies erlaubt« (S. 303).
Hier ist der Ort, die Schrankenproblematik zu behandeln, die in der
Einschränkung der positiven Religionsfreiheit der Lehrerin durch Rechte der
Schüler und der Eltern besteht. Handelt es sich bei diesen Rechten um die
Geltendmachung des Grundrechts auf negative Religionsfreiheit? Das Gericht
geht davon aus, ohne hierüber ein Wort zu verlieren. Indessen fällt die
Antwort nicht leicht.
a) In den fünf Entscheidungen des BVerfG, in denen die negative Religions-
freiheit im Bereich der Schule und des Gerichts eine Rolle spielte,25 gab es je
konkrete Rechtssubjekte, die das Grundrecht auf Schutz der negativen Glau-
bensfreiheit geltend machten. Es handelte sich in jedem einzelnen Fall um das
Problem der konkreten Gefährdung der negativen Religionsfreiheit durch
25 BVerfGE 41, 29, E 41, 65 (in beiden Fällen Eltern und Schüler gegen die christ-
liche Gemeinschaftsschule); BVerfGE 52, 223 (Schulgebet); BVerfG v.
16.05.1995, BVerfGE 93, 1 (Schulkreuz). Hierzu auch VGH München,
NVwZ 2002, 1003 ff (negative Religionsfreiheit des Lehrers gegenüber dem
Schulkreuz); siehe auch »Informationen über wichtige Entscheidungen des
BVerfG mit religiösem Bezug« im Anhang dieses Bandes.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Titel
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Untertitel
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Autoren
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 526
- Schlagwörter
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Kategorie
- Recht und Politik