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Kopitar, Bartholomäus
nerslowenisch > Slowenisch. Literaturüblich gibt es auch
→ Glottonyme unklarer Bedeutung wie »Breonisch«,
»Venetisch«, »Illyrisch«, ohne dass Spuren der so be-
nannten Sprachen in den heutigen erkennbar wären.
Es ist zu unterscheiden zwischen geschriebenen und
gesprochenen Sprachen. Seit der Römerzeit wurde
bis ins 19. Jh. Lateinisch geschrieben, sodass wir über
die Volkssprachen (linguae barbaricae, linguae vulgares)
wenig informiert sind. Was literaturüblich als »Alt-
hochdeutsch« oder »Mittelhochdeutsch« bezeichnet
wird, waren (später wieder aufgegebene) vereinzelte
Versuche, im jeweiligen Dialekt etwas mit lateinischen
Buchstaben zu schreiben (→ Altbairisch). Die heutigen
standardisierten, genormten Literatursprachen sind re-
lativ spät entstanden. Deutsch entstand als neue Dach-
sprache vieler Dialekte im 16. Jh. durch den prägenden
Einfluss der Luther-Bibel (→ Bibel), Slowenisch (als
Schreib- und Schriftsprache) ebenso im 16. Jh. durch
die krainisch orientierte Sprache der → Dalmatinbibel.
Die Bibelübersetzungen waren für die meisten europä-
ischen Sprachen der Anfang der heutigen Literatur-
sprachen (Nationalsprachen). Die Freisinger Denk-
mäler (8. Jh.) waren der erste slawische Versuch, im
Dialekt des karantanischen Raums Texte (→
Karan-
tanerslowenisch) zu schreiben. Solche Texte wurden in
Karantanien und Kärnten/Koroška als Kirchensprache
(→ Liturgiesprache, → Sprachgattungen) bis ins 16. Jh.
benützt. Die Kirche hatte bis zum Entstehen allgemei-
ner Literatursprachen eine oft unterschätzte Funktion.
K. gibt es in allen Bereichen der einheimischen Bevöl-
kerung : bei →
Rechtsinstitutionen, in der Namenge-
bung, im jahreszeitlichen →
Brauchtum, in der Musik
(→ Lieder), in der Küche (→ Küchensprache), in der
Tierhaltung, in der Architektur, im Handwerk und vor
allem in der gesprochenen Sprache (→ Dialekt).
Lit.: O. Kronsteiner : Das romanische Erbe in den slawischen Sprachen
auf dem Territorium des Imperium Romanum. In : Die Slawischen Spra-
chen 12 (1987) 35–73 ; O. Kronsteiner : Die Verfremdung unserer ge-
meinsamen Vergangenheit. In : Die Slawischen Sprachen (Europa und
die fremden Nachbarn) 57 (1998) 275–287 ; O. Kronsteiner : Nichts
als Namen. Kulturwissenschaftliche Wahrnehmungen aus Österreich und
Umgebung. Ljubljana 2003.
Otto Kronsteiner
Kopitar, Bartholomäus (Jernej, * 23. August 1780
Repnje [Vodice, Gorenjska], † 11. August 1844 Wien),
Slawist, Bibliothekar.
Nach Abschluss des Gymnasiums in → Ljubljana
war K. dort Sekretär bei Baron Sigismund/Žiga → Zois, dem Mentor der slowenischen → Aufklärung.
1808 ging er zum Jusstudium nach Wien, wurde Zen-
sor für slawische, neugriechische und rumänische Bü-
cher. Von 1810 bis zu seinem Tod war K. Bibliothekar
an der Wiener Hofbibliothek, zuletzt im Rang des 1.
Custos mit dem Titel eines Hofrats. Im Sinne seiner
austroslawischen Orientierung setzte er sich zum Ziel,
von Wien aus die sprachlich-kulturelle Entwicklung
der unter habsburgischer Herrschaft lebenden Slawen
voranzutreiben (→
Austroslawismus).
Das bedeutendste Ergebnis seines Wirkens war das
von ihm initiierte und betreute sprachreformatorische
Lebenswerk des Serben Vuk St. Karadžić. Als Spiri-
tus Rector der (noch voruniversitären) Wiener slawis-
tischen Schule hat K. durch seinen wissenschaftlichen
Erben und Nachfolger im Amt, Franz → Miklosich,
weitergewirkt. Seine weit gespannten Fachkontakte
machten K. zum Gesprächspartner und Informanten
in slavicis der bedeutendsten Philologen und Historiker
seiner Zeit, wie Wilhelm v. Humboldt, Jacob Grimm
(der ihm den Beinamen monstrum scientiarum gab) und
Leopold v. Ranke. Seinem hohen Rang in der wissen-
schaftlichen Welt entsprechend wurde er als erster Ge-
lehrter Österreichs mit der Verleihung des preußischen
Ordens »Pour la mérite« geehrt. K.s Ruhm begründete
früh seine Grammatik der Slavischen Sprache in Krain,
Kärnten und Steyermark, die erste moderne, wissen-
schaftliche slowenische (deskriptive) Grammatik. Für
die argumentative Absicherung von K.s → Pannoni-
scher bzw. Karantanischer Theorie war der (anfangs
über Janez Nepomuk → Primic laufende) langjährige
Kontakt mit Urban → Jarnik von Bedeutung, der in
einer umfangreichen Korrespondenz dokumentiert ist.
Jarnik sah in K. seinen Mentor, der ihn zu philolo-
gischen und ethnografischen Studien anregte und sich
für sein berufliches Fortkommen einsetzte. K. hatte u. a.
Kontakte zum Redakteur der Zeitschriften → Carin-
thia und Kärntnerische Zeitschrift, Johann Gottfried
Kumpf sowie mit dem Kärntner Landeshistoriker
Carl-Franz Suntinger. Ein bekannter Aufenthalt K.s
in Kärnten/Koroška fällt in das Jahr 1811, als ihn eine
große Europareise über Salzburg nach Ljubljana führte.
Am St.
Marxer Friedhof in Wien wurde ihm ein Denk-
mal mit folgender Inschrift gesetzt : »Bartholomaeus Ko-
pitar / Carantanus / natus in pago Repnje ad Aemonam
/ die 23 M. Augusti 1780 / in slavicis literis augendis /
magni Dobrovii / ingenius aemulator / obiit Vindobonae d.
11. M. Augusti 1844.«
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur