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Maribor
und »festigte« so den deutschen Charakter der Stadt.
Nach Angaben der Volkszählung 1910 war Deutsch die
Umgangsprache von 80,9 % oder 22.263 von 27.994 al-
ler Einwohner der Stadt, Slowenisch hingegen nur von
3.823 Einwohnern oder 13,7 %. Deshalb ist es nicht
erstaunlich, dass die deutsche →
Geschichtsschreibung
M. als »ihre« Stadt ansah. Interessant ist, dass vor der
Volkszählung 1910 in der Marburger Zeitung Aufrufe
an die slowenischen Knechte und Mägde veröffentlicht
wurden, diese sollten im Rahmen der Volkszählung die
Sprache ihrer Herren, d. h. Deutsch, als Umgangsspra-
che anführen.
Die slowenische Historiografie wies mit Studien
zur ethnischen Herkunft der Einwohner der Stadt die
These einer »deutschen Stadt« M. zurück und bewies,
dass noch 1910 mehr als die Hälfte der Einwohner der
Stadt in slowenischen Orten geboren und beim Zu-
zug Slowenen waren. Bereits in der ersten Hälfte des
19. Jh.s setzten sich einige slowenische Intellektuelle
zum Ziel, den slowenischen Namen der Stadt Mari-
bor durchzusetzen. Als Erster schrieb der slowenische
Dichter Stanko → Vraz den Namen M. in einem
Brief an den kroatischen Sprachwissenschafter und Po-
litiker Ljudevit → Gaj nieder. Vraz schuf den Namen
aus dem deutschen Marburg, indem er den ersten Teil
des Namens Mar beibehielt, während er den zweiten
Teil burg in das slowenische bor wandelte. Der Name
Maribor setzte sich bei den Slowenen erst ab dem Jahr
1861 durch, als der damalige Reichsratsabgeordnete
und Dichter Lovro → Toman, der Autor des ersten
slowenischen unzensurierten Drucks, das Gedicht Mar
i bor publizierte und dem Namen auch eine Bedeutung
gab : mar mi je [es geht mich an/es ist mir ein Anliegen]
i(n) [und] bor-im se za to mesto [ich kämpfe um die
Stadt]. Trotzdem verwendeten jedoch weiterhin zahl-
reiche Slowenen den Barbarismus Marporg.
Als Gegengewicht zum Deutschtum gründeten die
Slowenen bereits 1861 einen Leseverein, 1871 eine
Druckerei und 1882 eine Darlehenskassa (→
Glanč-
nik, Jernej) sowie zahlreiche Vereine (vgl. dazu die ana-
logen Institutionen und Prozesse in Kärnten/Koroška
→ Lesekultur, →
Genossenschaftswesen, → Vereins-
wesen). Die ethnopolitischen Aktivitäten der Slowe-
nen erreichten ihren Höhepunkt 1918 und 1919 in
der Zeit der Kämpfe für die Nordgrenze, als Rudolf
→ Maister mit seinen Freiwilligeneinheiten und ei-
nem entschlossenen militärischen Eingreifen fast dem
gesamten ethnischen Territorium der Slowenen in der
Steiermark/Štajerska die militärische und die politische Kontrolle durch den SHS-Staat und seinem Nachfol-
ger, dem Königreich SHS, sicherte (→ Jugoslawien).
Das war gleichzeitig ein wesentlicher Faktor bei der
Grenzbestimmung zwischen dem Königreich SHS und
Österreich im Bereich der Steiermark/Štajerska, wo die
slowenische Seite ihre territorialen Forderungen fast
zur Gänze verwirklichte. Die neue Grenze folgte hier
im Wesentlichen der slowenischen ethnischen Nord-
grenze.
M. war bis zum Zweiten Weltkrieg die Stadt, die
sich im Königreich SHS (nach 1929 Königreich Ju-
goslawien) am schnellsten entwickelte. Obwohl die
Zahl der Deutschen wegen der Abwanderung und der
Veränderung der Volkszählungskriterien (statt der Um-
gangssprache wurde die → Muttersprache erfasst) bis
1921 auf 6.595 (21,5 %) fiel, bis 1931 auf 2.741 (8,3 %),
blieb jedoch weiterhin der Großteil der Industrie und
des Kapitals in der Hand der Deutschen.
M. war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein
Migrationsziel für zahlreiche Zusiedler aus Kärnten/
Koroška. In der vor- und nachplebiszitären Zeit emi-
grierten nach manchen Schätzungen ca. ein Drittel
aller Kärntner slowenischen Emigranten nach M. und
seiner Umgebung (→ Volksabstimmung 1920, Ver-
treibung 1920). Unter ihnen waren auch zahlreiche
Schüler von Franc → Kotnik, der von September
1918 bis zur Volksabstimmung 1920, d. h. in der Zeit
der jugoslawischen Verwaltung, der Leiter des sloweni-
schen → Gymnasiums und der Lehrerbildungsanstalt
in → Völkermarkt/Velikovec war. Diese Schüler been-
deten die Lehrerbildungsanstalt und höhere Schulen in
M., in anderen Orten Sloweniens oder auch des dama-
ligen Jugoslawien. Einige Kärntner Emigranten hatten
im Jugoslawien der Zwischenkriegszeit angesehene öf-
fentliche Funktionen. So wurde Anton → Brandner,
der sich bereits im November 1918 General → Mais-
ter im Kampf um die Nordgrenze anschloss, im No-
vember 1920 in die verfassunggebende Versammlung
gewählt und Dr. Fran → Schaubach war 1927 bis
1929 Großbürgermeister des Verwaltungsgebiets Ma-
riborksa oblast [Mariborer Verwaltungsgebiet].
Die slowenischen Zuwanderer aus Kärnten/Koroška
hatten oftmals informelle Treffen. So führten sie in ab-
gewandelter Form die Tradition des → beljaško omizje
[Villacher Kreis] fort und trafen einander regelmäßig,
wöchentlich oder monatlich, in einem traditionellen
Lokal. In den ersten Jahren gelang es Professor Her-
zele und Pfarrer Anton Gabron an solchen »Kärnt-
ner Abenden« beträchtliche Summen für Kärntner
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur