Seite - 913 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
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Minderheit/Volksgruppe
Europarat, Rahmenüber-
einkommen zum Schutz
nationaler Minderheiten
Charta der Grundrechte
der EU iert § 4 des Grundrechtspatentes über die politischen
Rechte vom 4. März 1849 (RGBl. 151/1849) : »Für all-
gemeine Volksbildung soll durch öffentliche Anstalten,
und zwar in den Landesteilen, in denen eine gemischte
Bevölkerung wohnt, derart gesorgt werden, daß auch
die Volksstämme, welche die Minderheit ausmachen,
die erforderlichen Mittel zur Pflege ihrer Sprache und
zur Ausbildung in derselben erhalten.« Der Grund-
rechtsschutz der Oktroyierten Märzverfassung ist also
umfassend konzipiert. Der Begriff Minderheit ist noch
als statistische Größe zu verstehen.
§ 3 der Kärntner Landesverfassung von 1849 be-
sagt : »Die im Lande wohnenden Volksstämme sind
gleichberechtiget, und haben ein unverletzliches Recht
auf Wahrung und Pflege seiner [sic !] Nationalität und
Sprache« (zitiert nach der authentischen, noch nicht
bereinigten Erstfassung), bzw. authentische sloweni-
sche Fassung : »U deželi prebivajoči narodi [sic !] imajo
jednako pravo in uživajo nedotakljivo pravico za ohran-
janje in oskerbovanje svoje narodnosti in svojega jezika.«
Die slowenische Fassung ermöglicht einerseits die In-
terpretation des historischen und nunmehr veralteten
Begriffs → »Volksstamm« im Sinne des moderneren
Begriffs »Volk«. Zudem statuiert sie, dass beide Völker
gleichermaßen konstitutiv sind.
Eine erste Nuancierung der Begrifflichkeit Minder-
heit scheint in der →
Dezemberverfassung von 1867
bzw. in Art. 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. De-
zember 1867 ȟber die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche
und Länder« auf, der besagt : »Alle Volksstämme des
Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm
hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege
seiner Nationalität und Sprache. / Die Gleichberech-
tigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt
und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.
/ In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme
wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten
derart eingerichtet sein, dass ohne Anwendung eines
Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache
jeder der Volksstämme die erforderlichen Mittel zur
Ausbildung seiner Sprache erhält« (Hervorhebung vom
Autor). Der Text differenziert also zwischen einer ers-
ten und einer zweiten Landessprache, die zu erlernen
kein Zwang sein darf. Die Negativregelung wurde ins-
besondere im mährischen Sprachenstreit relevant, aber
auch in Kärnten/Koroška als Vorwand für Regelungen
verwendet, die der → Germanisierung und → Assimi-
lation und damit der Diskriminierung und Aberken- nung von Grundrechten strukturell Vorschub leisteten
(vgl. zum Aspekt → Landessprache ebendort).
Der →
Vertrag von Saint-Germain vom 10. Dezem-
ber 1919 definiert erstmals auf verfassungsrechtlicher
Ebene »Minderheiten« und gewährt ihnen in »Ab-
schnitt V, Schutz der Minderheiten« eingeschränkte
Rechte. So heißt es in Artikel 67 »Österreichische
Staatsangehörige, die einer Minderheit nach Rasse, Re-
ligion oder Sprache angehören, genießen dieselbe Be-
handlung und dieselben Garantien …«. Oder in Art.
68 : »In Städten und Bezirken, wo eine verhältnismäßig
beträchtliche Anzahl österreichischer Staatsangehöri-
ger wohnt, die einer Minderheit nach Rasse, Religion
oder Sprache angehören …« Art. 67 stellt zudem auf
die (einzelnen) Angehörigen einer Minderheit ab,
während Art. 19 aus 1867 von der Gleichberechtigung
der »Volksstämme« als Kollektiv spricht. Im interna-
tionalen europäischen Kontext waren Minderheiten
lange vor allem Spielball von machtpolitischen Interes-
sen, da das Konzept der verhältnismäßig großen Zahl
zu verschiedenen Methoden der Manipulation und
Einschüchterung bei Volks- bzw. → Sprachenzählun-
gen führte, was auch Methoden der sog. statistischen
→ Germanisierung umfasste (KlemenČiČ hic loco).
Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) in der Fas-
sung von 1929 bestimmt in einer »negativen« Formu-
lierung in Art. 8, dass »[die] deutsche Sprache […],
unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bun-
desgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache
der Republik [ist]« (Hervorhebung vom Autor). Damit
verfolgt die Verfassung weiterhin das nationalstaatliche
Konzept, das strukturell negative Auswirkungen für den
Erhalt der kulturellen und sprachlichen Vielfalt hatte.
Die oktroyierte Maiverfassung des autoritären, aus-
trofaschistischen Ständestaates Österreich (Verfassung
des Bundesstaates Österreich) wurde zunächst auf dem
Verordnungswege am 24. April erlassen und danach
nochmals vom Rumpfparlament am 30. April beschlos-
sen und am 1. Mai 1934 kundgemacht, um nach den
Kämpfen im Februar 1934 angesichts der Tragweite der
autoritären, politischen Veränderungen im Staat nach
außen einen demokratischen Anschein zu wahren. Da
mit der Einführung des austrofaschistischen Stände-
staates vor allem die parlamentarisch-demokratischen
Ordnungsprinzipien und die Sozialdemokratie bzw.
jedwede politische Opposition ausgeschaltet werden
sollten, wurden formal die aus dem Vertrag von Saint-
Germain abgeleiteten Rechte der ›Minderheiten‹ nicht
berührt. Art. 7 dieser Verfassung lautet : »Die deutsche
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur