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Oktroyierte Märzverfassung 1849
Apih, Slovenci in 1848. leto
ses des Reichstages und der Landtage durch direkte
Volkswahl, Ministeranklage, Grundrechte)«. Obwohl
ordentlich kundgemacht und in Kraft getreten, wurde
sie nur teilweise wirksam und nicht in allen Aspekten
umgesetzt und bereits am 31. Dezember 1851 in ihren
wesentlichen Teilen durch das Silvesterpatent wieder
aufgehoben, das nach einer Phase des »Scheinkonsti-
tutionalismus« (Oleschowski) die Zeit des Neoabso-
lutismus einläutete.
Das Verfassungswerk der O. M. vom 4. März 1849
setzt sich zusammen aus dem Manifest, mit dem der
Kremsierer Reichstag aufgelöst und die Verfassung
gleichzeitig angekündigt wurde (RGBl. 149/1849), so-
wie aus dem kaiserlichen Patent vom selben Tage, das
die Verfassung enthielt (RGBl. 150/1849), und dem für
die österreichische Reichshälfte bestimmten Grund-
rechtspatent (RGBl. 151/1849). Zudem wurden am
selben Tag zwei weitere wesentliche Begleitgesetze
erlassen, und zwar das Grundentlastungspatent (RGBl.
152/1849) und das Patent über die Einführung des
→ Reichsgesetzblattes und der → Landesgesetzblätter
(RGBl. 153/1848).
Die Lehre weist einerseits darauf hin, dass die O. M.
nur in Teilen bis gar nicht umgesetzt wurde. Nach
Walter/Mayer war »das einzige Organ der März-
verfassung, das tatsächlich eingerichtet wurde, […]
der lediglich zur Beratung der Krone und der vollzie-
henden Gewalt berufene, aus vom Kaiser ernannten
Mitgliedern bestehende Reichsrat (§§ 96 bis 98), der
mit kaiserlichem Patent vom 20. August 1851, RGBl.
196/1851, zum Rat des Kaisers und der Krone umge-
wandelt wurde«. Adamovich/Funk zeigen ebenfalls
auf, wie die O. M. noch vor ihrer Sistierung stufen-
weise ausgehöhlt wurde, und weisen darauf hin, dass
»[b]ereits mit allerhöchstem Kabinettsschreiben vom
13. April 1851, RGBl. 194/1851, […] das Ministerium
(= die Regierung) als ausschließlich dem Monarchen
gegenüber verantwortlich erklärt und der Verantwort-
lichkeit gegenüber jeder anderen politischen Autorität,
insbesondere auch gegenüber dem Reichstage, entho-
ben [wurde] (Beseitigung der Ministeranklage)« (Ver-
antwortlichkeit der Minister § 84 und Ministeranklage
§ 91 O. M.).
Seiderer 2015 weist seinerseits in einer neueren
Studie ebenfalls auf den stufenweisen »Prozess der
Dekonstitutionalisierung« hin, zumal »[s]pätestens im
Herbst 1850 … die eigentliche Wende zum Neoab-
solutismus ein[setzte], die über den Zwischenschritt
der Augusterl[ä]sse mit dem Silvesterpatent des Jah- res 1851 formell vollzogen wurde und nach dem Tode
Schwarzenbergs am 5. April 1852 in der Abschaf-
fung des Ministerrates als Institution endete.« Davor
habe aber nach Seiderer durchaus ein Wille zur Ver-
fassungsstaatlichkeit existiert, da »die Regierung in den
Jahren 1849/50 die Vorbereitungen für die Realisierung
der Märzverfassung ernsthaft vorantrieb.« Zudem war
Innenminister Alexander von Bach »daran gelegen,
dass die Reichsverfassung auch im Bewusstsein der Öf-
fentlichkeit verankert wurde«. Seiderer weiter : »Am
18. Februar 1850 brachte er in den Ministerrat den An-
trag ein, den Jahrestag des Verfassungsoktrois als einen
›für die Einheit der Monarchie hochwichtigen Erinne-
rungstag durch eine kirchliche Feier begehen zu lassen‹.
Dabei habe Fürst Felix zu Schwarzenberg bereits
Ende 1849 die O.M. als »›Miß-‹ oder ›Mistverfassung‹«
bezeichnet, doch sei die treibende Kraft der Abschaf-
fung der O.M. dem Vertreter des bürokratischen Abso-
lutismus, dem siebzigjährigen Karl Friedrich Freiherrn
von Kübeck gewesen, dessen antiliberale Grundhal-
tung sich unter dem Eindruck der Revolution verstärkt
habe. »Die ausschlaggebende Rolle im Übergang zu
einem neoabsolutistischen Regime«, so Seiderer wei-
ter, »dürfte indes dem Kaiser selbst zuzuweisen sein«,
denn, »[i]n den ersten Monaten seiner Regierung
noch im Schatten und wohl auch unter dem Einfluss
Schwarzenbergs stehend, besaß er von Anfang an
eine hohe, ja übersteigerte Auffassung von seinem Amt,
das er nicht als das eines konstitutionellen Monarchen
auffasste.«
Die gesamte Gesetzgebung dieser »scheinkonsti-
tutionellen« Zeit beruhte auf dem interimistischen
Gesetzgebungsrecht (Brauneder, Hoke) des § 120
in den »Allgemeinen Bestimmungen« der O. M. Die-
ser wird als Vorläufer des Notverordnungsrechtes be-
trachtet. Demnach konnten, »so lange die durch diese
Reichsverfassung bedingten organischen Gesetze nicht
im verfassungsmäßigen Wege zustande gekommen
sind, […] die entsprechenden Verfügungen im Verord-
nungswege erlassen [werden]«.
Dies gilt nach der Auflösung der feudalen Patrimo-
nialgerichtsbarkeit (gemäß § 100 O. M.) und Grund-
herrschaft (Grundentlastungspatent), insbesondere
für die Trennung von Justiz und Verwaltung (RGBl.
278/1849 gemäß § 102 O. M.) und für das proviso-
rische Gemeindegesetz (RGBl. 170/1849 gemäß § 33
O. M.), die zusammen mit der Einrichtung der Be-
zirkshauptmannschaften als neuzeitliche Verwaltungs-
behörden (kaiserliche Entschließung RGBl. 295/1849,
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur