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Oktroyierte Märzverfassung 1849
RGBl., Ergänzungsband, S. 1
Eliten im Endeffekt lediglich mononationale Kreise als
institutionelle Lösung, die einen grundrechtswidrigen
Boykott von Minderheitenrechten durch systemati-
sche Majorisierung verhindert hätten. Doch gerade die
Einrichtung von Kreisen ist in der O. M. nicht mehr
vorgesehen.
Es ist durchaus bezeichnend für die Art der Um-
setzung dieser Bestimmungen, dass gerade die slowe-
nischen Kernländer, abgesehen von der Steiermark/
Štajerska, zwar einerseits in der Tat in § 1 im »Kö-
nigreich Illyrien« zusammengefasst waren (»dem Kö-
nigreiche Illirien, bestehend : aus dem Herzogthume
Kärnthen, dem Herzogthume Krain, der gefürsteten
Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Is-
trien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete«) (→
Kö-
nigreich Illyrien). Doch wurde andererseits gerade die
Forderung nach einer Vereinigung der Slowenen in
einer staatlichen Entität, wie sie Matija →
Majar –
Ziljski und das Manifest zum Vereinigten Slowenien
(→ Zedinjena Slovenija) gefordert hatten, durch die
institutionelle Stärkung der historischen Kronländer
(§ 2 O. M.) ipso facto unterlaufen, sodass sie, obwohl
sie im geschlossenen Siedlungsgebiet die Mehrheit
bildeten, von der herrschenden Elite als »Minderheit«
im Lande behandelt wurden (wozu in der Folge auch
die → Wahlordnungen und die darin enthaltenen
→ Wahlkreiseinteilungen dienen sollten).
Lediglich → Krain/Kranjska profitierte in weite-
rem Ausmaß von den langfristigen Folgen der Sprach-
bestimmungen der O. M. Nach Vilfan (1975 : 110)
gehen jedoch so manche Fortschritte in Fragen der
politischen Repräsentation der Slowenen und der Stel-
lung des Slowenischen auf das persönliche politische
Engagement des einzigen slowenischen Landespräsi-
denten in der Habsburgerzeit, Andrej/Andreas Wink-
ler (1825–1916), in Amt 1880–1892, zurück. Dieser
sei seiner Überzeugung trotz der heftigen Angriffe der
deutschliberalen Kreise gefolgt.
In Kärnten/Koroška scheint zwar Statthalter
→ Schloissnigg/Šlojsnik während seiner gesam-
ten Amtszeit (vom 2. Jänner 1850 bis September/Ok-
tober 1860) von einer Konstitutionalität beider Völker
im Lande (wie in § 3 Landesverfassung stipuliert)
ausgegangen zu sein, was sich in der Herausgabe von
zweisprachigen → Ortsrepertorien für das gesamte
Land 1850 und 1854 sowie eines zweisprachigen slo-
wenisch-deutschen Landesgesetzbattes widerspiegelt.
Doch haben die realpolitischen Verhältnisse gegen den
Geist der Verfassung in diesem wesentlichen Aspekt gewirkt (ähnlich dazu Apih) und so wurde etwa mit
Schloissnigg/Šlojsniks Abgang das Landesgesetz-
batt nicht mehr umfassend in beiden Landessprachen
publiziert.
Zentrale wirtschaftspolitische Bestimmungen der
O.
M., die den Trend der Zeit widerspiegeln, waren die
Schaffung eines einheitlichen Zoll- und Handelsgebie-
tes innerhalb der Gesamtmonarchie (§
7), die Freizügig-
keit der Person (§ 25), die Bestimmung, wonach »jede
Art von Leibeigenschaft, jeder Unterthänigkeits- oder
Hörigkeitsverband für immer aufgehoben [ist]« (§ 26).
(Das Leibeigenschaftsaufhebungspatent vom 1. November
1781 von Josef II. wandelte die Abhängigkeit der Bau-
ern in eine gemäßigte Erbuntertänigkeit, die Leibeigen-
schaft wurde für die böhmischen Länder aufgehoben.
1782 geschah dies auch für die übrigen österreichischen
Länder [→ Josephinismus] und wurde im Allgemeinen
bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 festgehalten. Durch
das Patent 112/1848 Ferdinands I. vom 7. Septem-
ber 1848 wurde jeglicher Unterthänigkeitsverband
aufgehoben). Zudem wird der Schutz des Eigentums
(§ 29), die Freiheit, Liegenschaften zu erwerben (§ 30),
sowie die Freizügigkeit des Vermögens (§ 31) garan-
tiert. Diese Rechte sollten später im Grundrechtskata-
log über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger der
→ Dezemberverfassung 1867 Berücksichtigung finden.
Die Freizügigkeit von Personen und Kapital sowie der
Abbau der Zoll- und Handelsschranken schufen ei-
nen Binnenmarkt, während die Grundentlastung die
Reste feudaler Ordnung abschaffte und insgesamt den
Staat in die durchaus kritisch zu betrachtende Moder-
nität der industriellen Revolution führte, für die damit
die rechtlich-strukturellen Rahmenbedingungen erst
geschaffen werden mussten. Malli weist darauf hin,
dass das »Zeitalter der Landflucht und Industrialisie-
rung« in den verschiedenen slowenischen Kernländern
unterschiedliche sprachsoziologische Auswirkungen
hatte. Die im Zuge der Grundentlastung erforderliche,
anteilige geldwerte Ablöse führte zur Verschuldung
vieler Bauern (Flossmann), was der Landflucht und
Proletarisierung in der damals vornehmlich noch ag-
rarisch geprägten Monarchie Vorschub leistete. Ple-
terski unterstreicht die unterschiedlichen politischen
und wirtschaftlichen Auswirkungen der Grundentlas-
tung aufgrund der historischen Besitzformen in beiden
Sprachteilen Kärntens, wobei im slowenischen Landes-
teil ein hoher Anteil von Dominikalbesitztümern einer
mittel- und kleinbäuerlichen, extensiv bewirtschafteten
sowie wirtschaftlich abhängigen Besitzstruktur gegen-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur