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der Fall war, daß Ungarn den Türken nicht völlig anheimfiel, ist vor Allein Ferdinands
Verdienst. Seine Ausdauer im nngleichen Kampfe mit der in ihrem Zenith stehenden
Weltmacht hat zu den alten Rechten seines Hauses auf Ungarn ein neues, moralisches
Anrecht gefügt. Und so wie damals Wien mit seinen nen angelegten Befestigungs-
werken recht eigentlich die Grenzburg der Erblande sowie des deutschen Reiches wurde,
so war in diesen Tagen unter Ferdinands Leitung Österreich neuerdings, wie in alter
Zeit, eine Ostmark des Reiches, ein Bollwerk des Abendlandes, seines Glanbens und
seiner Gesittung. „Ist", so lautet der Ausspruch eines großen Geschichtschreibers unserer
Zeit, „die Gründung der spanisch-österreichischen Macht in irgend einer Beziehung eiu
Glück für die Christenheit gewesen, so ist es die, daß sie groß und stark genug war,
zugleich in Afrika, Italien uud Ungarn den Türken zu widerstehen. Hierdurch hat sie den
Dank aller unserer Nationen verdient."
Neben den Türkenkriegen war es namentlich die religiöse Frage, welche Ferdinands
Regententhätigkeit vollaus in Anspruch nahm. Denn unter seiner Regierung fand die neue
Lehre überall in Österreich Eingang und Verbreitung. In Böhmen und Mähren fand
das Lutherthum an dem Vorhandensein der älteren ntraqnistischen Lehre, neben der sich
in Fortsetzung taboritischer Traditionen überdies die Secte der böhmischen Brüder aus-
gebildet hatte, mächtige Förderung. In den deutschen Erbländern Ferdinands war etwas
Ähnliches nicht der Fall; dasür aber stände» dieselben im innigsten Verkehre mit dem
übrigen Deutschland und Alles, was dort geschah, das erste Auftreten Luthers, das Ringen
seiner Anhänger um Geltung, die allmälige Erstarkung seiner Lehre, alles das spiegelte sich
sofort in Österreich wieder. Selbst über das Gebirge, das sonst eine natürliche Scheide-
wand für den Verkehr der Völker bildet, brachten in die Hochthäler von Steiermark,
Kärnten und Tirol Bergknappen aus Sachsen mit der Kenntniß des wissenschaftlichen
Bergbaues mich die Lehre ihres Landsmannes Luther. Neben dieser breitete sich in den
Jahren nach dem Bauernaufstande, aus Süddeutschlaud und der Schweiz verscheucht, die
Secte der Wiedertäufer in Tirol ans, um endlich, als anch hier die Regierung mit Feuer
und Schwert dazwifchenfuhr, in Mähren ein „neues Jerusalem", das „gelobte Land" zu
finden, in dem sie sich trotz mancher Heimsuchungen, die sie auch hier erfuhren, ein Jahr-
hundert hindurch behauptet haben. In Ungarn wurde die Reformation durch denThronstreit
wesentlich begünstigt, doch trat in der Folge unter den protestantisch Gesinnten selbst durch
das Eindringen der Lehre Calvins und Zwiuglis Spaltung ein. Vielfach trat dieser
Zwiespalt mit den nationalen Gegensätzen in Verbindung. Während die deutschen und die
slovakischeu Gemeinden sich in ihrem Lutherthum nicht irre machen ließen, während dieses
namentlich anch bei den Sachsen Siebenbürgens Eingang fand, verbreitete sich unter deu
Magyaren die schweizerische Reform mit um so größerem Erfolge.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch