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wohl aufdeckten, aber nicht zu heilen vermochten. Aber anch die protestantische Kirche in
Österreich trug bereits den Keim des Verfalles in sich. Die Kirchcnagende, weit entfernt
dem widerlichen Gezänke der Pastoren ein Ziel zu setzen, gab vielmehr zu fortgesetztem
Hader den Anlaß. Die größte Gefahr aber für die gedeihliche Entwicklung des Protestan-
tismus iu Österreich lag in dem Mangel eines inländischen Consistorinms und in dem
dadurch bedingten Überwiegen des ausländischen Elementes unter den evangelischen
Predigern, die, ans den verschiedensten Gegenden berufen, die verschiedensten Lehrmeinungen
mit sich brachte» und nicht selten durch ihreu Zelotismus, um dessentwillen man sie anderswo
vertrieben hatte, ihre nene Heimat in wilde Gährung versetzten. Und während so fanatische
Wiedertäufer und zelotische Calviner, gemäßigte Lutheraner und ihre flaeianischen Wider-
sacher sich wechselseitig den Boden streitig machten, während anderseits die alten Klöster
verödeten, die einstigen Klosterschulen verfielen oder den besser geleiteten protestantischen
Schulen weichen mußten, während also die alte wie die neue Kirche iu völliger Auflösung
begriffen war, erhob sich aus dem allgemeinen Ruin, dem das öffentliche Leben entgegen-
trieb, nm so entschiedener die zunehmende ständische Macht, der die Theilung Österreichs
und die damit zusammenhängende Schwächung der landesfürstlichen Gewalt zustatten
kam, uud es ist gewiß keiu zufälliges Zusammentreffen der Umstände, sondern ein Symbol
dieses Aufschwunges ständischer Libertät, daß man gerade damals zu Wien wie zn Linz
den Bau eines neue» Landhauses begauu, in dessen Räume der veränderte Geist der Zeit
seinen Einzug hielt.
Im Gegensatz zu seinem Bender Maximilian war Ferdinand von Tirol, einst
Statthalter seines Vaters in Böhmen, der kunstsinnige Gemal der Angsbnrger Patricier-
tochter Philippine Welser, stets streng katholisch gesinnt. Er fand zwar in Tirol ebenfalls
zahlreiche Anhänger der neuen Lehre vor. Allein in dieser Parteinahme für die Reformation
lag doch mehr ein Gegensatz gegen die Übel in der Kirche als eine entschiedene Lossagung
von derselben. Nur die Wiedertäufer hatten organisirte Gemeinden, und gerade mit dieser
Secte hatte bereits die frühere Negierung gründlich aufgeräumt. Die lutherisch Gesinnte»
brachten es weder zu einer Verbindung noch zu einer Umgestaltung des Kirchenwesens.
Auch der Umstand, daß das allgemeine Concil gerade in Tirol abgehalten wurde, konnte
nicht ohne nachhaltigen Einfluß a»s das dortige Volksthum bleiben. Daher fand Ferdinand,
als er, »»terstützt vo» den Jesniten und den Bischöfen des Landes, das Werk der Gegen-
reformation in Angriff nahm, keinen erheblichen Widerstand. Er hat dem Lande Tirol
seinen entschieden katholischen Charakter gegeben; wie aber die Reformation wesentlich
deutschen, die Gegenreformation romanischen Ursprunges war, so gewann hier, an der
Grenzscheide der beiden Nationen, der Sieg des einen Princips über das andere zugleich
eine nationale Färbnng.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch