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selbst in die Arme werfen werde. Im Bunde mit den Deutschen gedachte er alsdann die
Barbaren zu vertreiben und in der Fülle des Ruhmes und der Macht als Retter der
Christenheit durch Aeclamation das höchste Ziel seiner Wünsche, die römische Kaiserwürde
zu erlangen. Und alles dies war nicht etwa blos das Gebilde einer erhitzten Phantasie; durch
sehr nüchterne Verträge strebte damals Lndwig XIV. die Vorbereitung jenes Zieles an.
Zum ersten Male kündete sich der keimende Gegensatz des aufstrebenden brandenburgischen
Hauses gegen die Habsburgische Vorherrschaft in Deutschland in jenem erst in unseren
Tagen bekannt gewordenen Vertrage des durch den letzten Friedensschluß tief verletzten
Kurfürsten Friedrich Wilhelm mit Ludwig XlV. an. Der Kurfürst versprach dem König,
ihm bei der nächsten Wahl zur Erlangung der Kaiserwürde behilflich sein, jedenfalls aber
der Erhebung des jungen Erzherzogs Josef, des älteren Sohnes des Kaisers, auf den
deutschen Thron entgegenwirken zu wollen. Und so wie Ludwig, statt den Zeitpunkt ruhig
abzuwarten, in welchem er die spanische Krone zu erben hoffen durfte, vielmehr schon jetzt
einen Demant um den andern mit Gewalt aus derselben brach, so ersann er auch bezüglich
Deutschlands eine Theorie, auf die gestützt er mitten im Frieden Eroberungen machen konnte.
Es waren die berüchtigten Rennionen, denen zufolge er alle jene Gebiete in Anspruch
nahm, welche einst zu den Ländern gehört hatten, die in den letzten Friedensschlüssen an
Frankreich abgetreten worden waren.
Auf diese Weise fiel ihm die Perle des Reiches, Straßburg, in die Hände, während
Ludwig zugleich durch die Wegnahme von Casale auch in Italien festen Fuß zu fassen
suchte. Es gab kein europäisches Gleichgewicht mehr. Wie ein reißendes Gewässer unauf-
hörlich an seinen Ufern nagt, so fiel der Grenzsaum des Reiches Stück um Stück jener
Theorie zum Opfer; wer mochte sagen, wann und wo sich derselben ein schützender Damm
entgegensetzen werde?
Wieder, wie in den Tagen Karls V. und Ferdinands, mußte der kaiserliche Doppelaar
wachsam nach Westen und Osten blicken. Es ist nicht richtig, wenn man behauptet, der
Kaiser habe die Interessen des Reiches den eigenen hintangesetzt. In Wahrheit verhielt es
sich vielmehr so, daß Leopold bis zum letzten Augenblick den Frieden im Osten zu erhalten
suchte, um seine Kräfte für den Kampf mit dem als weit gefährlicher erachteten Feinde im
Westen aufzusparen. Diesen Standpunkt des Kaisers hat am besten Graf Königsegg
bezeichnet, als er in vertraulichem Gespräche mit dem brandenburgischen Gesandten die
politische Lage Europas erörterte. „Im Osten," sagte er, „handelt es sich nm einige Eomitate
in Ungarn, im Westen um die Kaiserkrone. Darum wird es Niemand dem Kaiser verargen
dürfen, daß er lieber etwas im Osten preisgibt, was seine Vorfahren nicht besessen haben,
als daß er nach Westen hin Alles aufs Spiel setzt. Der Kaiser ist so erregt, daß die Minister,
um nicht einen Verdacht aus sich zu laden, nur mit großer Vorsicht das Wort Friede
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch