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Unter diesen Verhältnissen tauchte das schon in früherer Zeit öfters ventilirte Project
einer Theilung Polens wieder ans. Rußland und Preußen nahmen die Besetzung der Zipser
Städte zum Vorwande, um sich über eine Theiluug zu einigen, wonach Rußland sich für die
Zurückgabe der eroberten türkischen Länder au Polen schadlos halten und mich Österreich
nnd Preußen sich aus Kosten Polens in der Art vergrößern sollten, daß das bisherige
Machtverhältniß der drei Staaten unverändert bleibe. So kam es zur ersten Theilung
Polens (1772), in welcher Rußland den östlichen Theil von Lithauen, Österreich das rechte
Ufer der oberen Weichsel nnter dem Namen der Königreiche Galizien (Halicz) nnd
Lodomerien (Wladimir), Preußen das einst an Polen abgetretene Westpreußen (außer
Dauzig uud Thoru), Ermelaud und den Netzedistriet erhielt. Im Zusammenhange mit der
erfolgten Theilung, znr Herstellung einer directen Verbindung zwischen den nenerworbeueu
Gebieten und Siebenbürgen wurden die kaiserlichen Adler auch in der Bukowina ansgesteckt,
zu deren Abtretung an Österreich Thugut als gewandter Unterhändler die Psorte zn bewegen
wußte (1775).
Maria Theresia hatte diesen Ausgang nicht gewünscht. Wohl fehlte es Österreich nicht
an einem Schein von Recht auf die erworbenen polnischen Gebiete, die einst der Krone des
heiligen Stefan angehörten und auf die man wirklich das Rückkehrsrecht (Ms postliminii)
geltend machte. Aber Maria Theresia hatte vou diesen Ansprüchen eine geringe Meinung,
und so wie sie selbst den Thron ihrem guten Rechte verdankte, so sträubte sie sich gegen eine
Politik, welche nicht das Recht, sondern den augenblicklichen Vortheil als Abzeichen auf
ihrem Banner trug. „Ich für meinen Theil", sagte sie zu dem englischen Gesandten, „wünsche
kein Dorf zu behalten, das mir nicht zukommt. Kein Theilungsplan, wie vortheilhaft er
anch sein möge, wird mich auch nur einen Augenblick in Versuchung führen; ich werde
vielmehr alle Entwürfe solcher Art mit Verachtung verwerfen."
Allein die Ereignisse zeigten sich mächtiger als die Vorsätze der Kaiserin. Immer
lauter klangen die Sirenenstimmen, welche auch Österreich einluden, sich an einer terri-
torialen Abrnndnng auf Kosten Polens zu betheiligen, immer größer wurde die Gefahr,
daß es im Falle der Ablehnung zu einem Kriege mit den beiden anderen Theilungsmächten
kommen werde. Maria Theresia gab nach; in jener tiefen Friedenssehnsucht, die sie in
den späteren Jahren ihres einst nur zu bewegten Lebens hegte, willigte sie in den Vertrag,
den sie gleichwohl noch späterhin als ihrer besseren Überzeugung abgenöthigt bezeichnete.
Sowie sich in dieser Angelegenheit bereits der entscheidende Einfluß des Sohnes
und Mitregenten Maria Theresias, Kaiser Josefs II. geltend machte, so war dies und zwar
in noch weit höheren! Maße bezüglich der bald darnach auftauchenden baierischen Erbfolge-
frage der Fall. Aber zugleich trat auch in dieser Frage die Meinungsverschiedenheit Maria
Theresias nnd ihres Sohnes deutlich hervor. Um nämlich den Verlnst Schlesiens ans
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch