Seite - 200 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
Bild der Seite - 200 -
Text der Seite - 200 -
200
Denkschrift an Kaunitz (1786) faßte Josef seine Ansichten hierüber zusammen. „Wenn",
sagte er, „Österreich und Preußen sich aufrichtig mit einander verbinden und im Einver-
ständniß mit einander handeln, haben sie nichts weiter zu fürchten weder von einer einzelnen
Macht noch von einer Verbindung mehrerer; sie werden die Schiedsrichter sein nicht allein
in Deutschland, sondern in Europa. Alle Mächte werden sie suchen, sie werden keine andere
Macht zu suchen brauche«. Der allgemeine Friede wird nur von ihnen abhängen. Es kann
keine Allianz geben, die eine solidere Grundlage und einfachere Bedingungen hätte als
diese." Aber das Project einer Verständigung mit Preußen war nur eine Seifenblase, die
vor den Bedenken, welche Kaunitz erhob, sofort zerplatzte. Die alten Gegensätze bestanden
unausgeglichen fort. So wie Preußen sich auch fernerhin in seinem Antagonismus gegen
den österreichischen Einfluß im Reiche gefiel, wie sich dies namentlich bei der Wahl Dalbergs
zum Coadjntor in Mainz und Worms zeigte, so galt für Josef auch in der Folge das
Büudniß mit Rußland als ein politisches Axiom, wobei sich allerdings die Frage erhob, ob
es im Interesse Österreichs liege, den Absichten Rußlands gegen die Türkei Einhalt zu
thun oder ihnen Vorschub zu leisten.
Josef wünschte auch jetzt die Aufrechthaltung des Friedens. Er hätte sich nicht gegen
eine mäßige Erweiterung Rußlands auf Kosten der Pforte gesträubt, woserue sich dabei
auch ein entsprechender Gewinn für Österreich ergab; aber die Russen zu Herren und
Meistern der Türken werden zu lassen, lag nicht in seiner Absicht. Als er daher aus Anlaß
der neuen Verwicklungen zwischen der Pforte und Rußland, wenn auch innerlich wider-
strebend, der Einladung Katharinas Folge gab und mit ihr zu Ehersou zusammentraf,
suchte er seinen Einfluß zu Gunsten des Friedens geltend zu machen. Aber es zeigte sich
bald, daß dies nicht mehr in dem Belieben Josefs und seiner Bnudesgenossin lag. Die
Pforte erklärte an Rußland den Krieg, und zwar in dem Augenblick, als auch über den
westlichen Horizont ein schweres Gewitter gegen den Kaiser heraufzog. Eben in Cherson
empfing Josef die Nachricht vou den Unruhen, die in Belgien ausgebrochen waren.
Die Reformen Josefs waren von so durchgreifender und umwälzender Art, sie hatten
so viele persönliche Vortheile, so viele verkommene alte Rechte angetastet, daß sich noth-
wendig der Widerspruch der dadurch Betroffenen erheben mußte. Die Zahl der Gegner des
Kaisers mehrte sich mit jedem Schritte, den er in seinen Reformen weiter that, so zwar,
daß zuletzt, obgleich jede einzelne Neuerung in diesem oder jenem Kreise Beifall fand und
die Vergötterung des Monarchen hervorrief, doch beinahe das ganze Reich zur Klage und
zum Widerstande sich vereinigte.
Nirgends aber war dies so sehr der Fall als in jenen Ländern, die sich seit jeher
einer weitgehenden Autonomie erfreuten, in deren Besitze sie die Reformen des Kaisers
ernstlich bedrohten. Namentlich in Ungarn, wo der ganze Verfassungsapparat noch aufrecht-
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch