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Schwärmerei erhebt. Der Magyare kann sich nicht im Auslande niederlassen, so gut es
ihm auch dort ergehen mag, und haben ihn die Verhältnisse gezwungen auszuwandern, so
sehnt er sich in der dritten oder vierten Generation schon zurück. Seine Volkslieder sind
voll uiit diesem schwermüthigen Hindämmern und es ist ein altes Sprichwort, daß „der
Magyare sich weinend belustigt." Er weint, wenn ihm sein Vaterland einfällt. „Aus meinem
Ange rinnt ein Thränenbach deinem Gedächtniß, süßes Vaterland!" Er beweint sein
treuloses Liebchen: „Regen nicht, noch Wolke, nicht einmal im Weiten, doch wird meine
Snba (Lodenmantel) naß auf beiden Seiten." „Unterm Himmel, rings auf Erde» wer
kauu so verwaist noch werden." „Weint das eine Ang' mir, thränt das andere auch mir;
weint nur zu mein'twegen, wie der schießende Regen." Er weint um seine schwindende
Jugend: „Also vergeht mir die Jugeud, weinend seh' ich ihr nach." Mit seinen Thränen
salzt er sich das magere Soldatenbrot: „Weine, Mntter, laß dir rathen, steht dein Sohn
bei den Soldaten; einen Todten hast du täglich, Tag und Nacht drum weinst unsäglich."
Er beweint die vergangenen rühmlichen Zeiten: „Hörst nicht mehr das Wort Magyar,
hin ist hin des Glückes Jahr." Er schwellt die Donau an mit seinen Thränen: „Donau,
Donau, was ist dein Wasser bitter und so voll dem Graben? Weil bei Preßburg so viel
bittre Thränen einst gefüllt ihn haben." Diese melancholische Färbung zieht sich durch
seine ganze Poesie und ist auch nachzuweisen in seinen öffentlichen Reden, seiner höheren
Literatur, seinen Dramen.
Immer ist er der Freund der besiegten Partei, niemals jauchzt er mit dem Sieger,
stets trauert er mit dem Gestürzten. Und wer sich vom schwermüthig ernsten Gemüthe der
ungarischen Race überzeugen will, beobachte den Gottesdienst der Calviner, wenn sie ihre
Psalmen singen; ohne daß irgend eine äußere Ceremonie die Phantasie aufregte, entspringt
die Andacht aus dem Gemüthe selbst. Der Schuster in Debreezin singt seine Psalmen sogar
bei der Arbeit. Die nämliche Andacht finden wir bei den Wallfahrten der Katholiken,
besonders an den Bitttagen und in der Charwoche.
Familienleben.
Auch das magyarische Volk betrachtet die Familie als die Grundlage des Staates
und hält in deren Kreise Zucht uud gute Sitte aufrecht. Söhue und Töchter duzen die
Eltern niemals, selbst nicht wenn sie erwachsen sind. Der jüngere Bruder nennt den
älteren nnd dieser jenen ,Scssln«, die Schwestern aber ,nenem"nnd .
welche Unterscheidung nur die magyarische Sprache besitzt, und diese Benennung bringt
solche Rechte zu allgemeiner Geltnng, daß z. B. selbst die Reichstagsabgeordneten ihre
älteren Eollegen mit „Sie" anreden, während diese sie dnzen. Zur Steigerung der Ehre
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Band 5
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Band
- 5
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.41 x 22.5 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch