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Die Weinlese ist halb Arbeit, halb Feier — Arbeit, insofern sowohl der Altbauer,
obgleich seine kugelrund gewordene Hand die Pflugsterze schon lange nicht mehr berührt
hat, als auch der Wohlgeborue Herr, der nur seine Knechte arbeiten läßt, wie nicht minder
der Hochwohlgeborne Herr, in dessen Namen der Wirthschaftsbeamte Besehle ertheilt, an
beiden Armen die Hemdärmel weit hiuausgestreist haben, während die Herren clocwres
ineckicinae und Miis, ja selbst der Hochwürdige mit seiner knßgewohnten Hand rüstig
nach der Tragstange der Knse greifen uud dem Weinlesesport obliegen. Und ein Fest ist es,
weil hinter den Lesenden kein Mensch den Anfseher spielt: sie leisten, so viel sie wollen,
morgen ist ja wieder ein Tag. Mittags ist großes Essen, aber nicht zwischen vier Wänden,
sondern auf dem grüueu Raseu vor dem Hanse oder unter dem großen Nußbaum. Auch
wird nicht mit Silber gespeist, ans Blech sind die Löffel nud die Messer habeu eiserne Stiele.
Um einen lahmen Tisch her werden lange Bretter über Fässer gelegt, da setzt sich der
Geladene wie der Ungeladene hin, beide sind gleich gern gesehen; — Brei mit Hammel-
fleisch, Weinlesekrant, Pörköltfleifch, Alles laßt sich dem von Lammsbeinen ans zu diesem
Zweck gemästeten Schöps abgewinnen unter Hinznthnn etlicher Schoten süßen, purpur-
rothen Paprikas, die ganz mitgekocht werden. Wessen Gesundheit ans schwarzen Kassee
eingerichtet ist, der bekommt auch den, nur darf er nicht etwa auf Porzellautafsen rechnen,
sondern man kredenzt ihm den Mocea in kleinen Weingläsern; er mag uoch sroh sein,
wenn er keiueu Eßlöffel dazu bekommt, sondern irgend einen großmütterlichen Packsong-
Kaffeelöffel, der ans der Verschollenheit irgend einer uralten Schublade zu Tage gefördert
worden. Der Zigeuner wandert mittlerweile von Winzerhaus zu Winzerhaus; wo er just
Mittags hinkommt, da bleibt er sitzen. Und den ganzen Tag knallen, zu nicht geringen?
Schreck des Weibsvolkes, die Frösche, diese kleinen Höllenmaschinen: nach Eintritt der
Dämmerung aber flammen die Raketen ans, die eisernen Flinten der Weinhüter puffen
drauf los und Berg und Wald werfen Knall und Lied zurück. Jeder Mensch wird
zum Kiude.
Nicht nur auf deu berühmte» Weiugebirgeu geht es so her. Die lieblichen Abhänge
von Somlyo, die lachenden Hügel von Baranya, die Lehnen der Mätra, die Kuppen von
Arad, Neszmely, Szegszärd, Ermellek, Badaesony, Ofen, der „Schooß der Königin" im
Bodrogköz, und so viele laubenbekränzte Hügel, so viele nektarströmende Brüste dieses
reich gesegnete Land noch haben mag, alle sind sie weithin mit schmucken, einladenden
Winzerhäuschen, Villen, Castellen bestreut. . . . Seid fröhlich! Das flache Alföld nimmt
den Wettkampf mit euch auf. In den ungeheuren Sand-Weingärten von Debreczin, Halas,
Körös und besonders Keeskemet, wo zwischen den einfachen, aber immer glänzend weiß
getünchten Hauerhütteu zahlreiche Pillen sich erheben, schäumt die gute Laune ebenso frisch
auf, uud wenn einst der Ruf der Bälle vou Mad sich „über sieben Länder" erstreckte uud
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch