Seite - 308 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (3), Band 12
Bild der Seite - 308 -
Text der Seite - 308 -
308
Argyrus als Grundlage dient. In diesem Werke hat die magyarische Dichtersprache den
höchsten Grad ihres Reizes erreicht. Mit Recht sagt Beöthy: „Niemals hat die Liebe mit
poetischerer, wärmerer Beredsamkeit gesprochen, niemals hat man einen reicheren Strom
dichterischer Motive gesehen."
Lyrische Gedichte schrieb er vom Anfang bis zum Ende seiner Laufbahn. In diesen
erreichte er den Gipfelpunkt seiner Poesie. Nicht blos durch großen Reichthum an Stoffen
und Mannigfaltigkeit der Stimmungen, sondern auch durch schöpferische Neuheit in ver-
schiedenen Dichtungsarten wies er der ungarischen Lyrik ganz unbekannte Richtungen. Er
schrieb Lieder, Elegien, Oden, Hymnen, Genrebilder, Balladen, Romanzen, Epigramme,
und in allen diesen Kunstgattungen wahre Meisterwerke. Er sang die Liebe nnd ihre
Sehnsucht und Träumerei; er glühte für deu Fortschritt der Menschheit, das Los der
unterjochten Polen rührte ihn; vor allem Anderen aber sang er die Vaterlandsliebe mit
dem uuverlöschlicheu Feuer seiner Begeisterung, mit der Aufrichtigkeit seines Tones und
der Echtheit seiner Hoffnung oder Trauer. Seine patriotischen Gedichte sind Oden nnd
Elegien. Er beweint den Niedergang der Nation, er ist voll Sorge um sie, er rügt die
Neigung zur Ausläuderei; dann, als Szechenyi durch sein Buch „Credit" (Hitel) der
Nation den Glauben an sich selbst eingeflößt hat, leiht er der Bolksstimmuug Worte,
Worte des Selbstvertrauens und der Größe, des Schmerzes und der Entschlossenheit oder
der verhängnißvolleu Ahnung, daß die Nation sich rühmlich durchsetzen oder gänzlich vom
Erdboden verschwinden werde. Der schönste Ausdruck dieser Stimmung ist der „Mahnruf"
(3?<Z2Ät), der neben Kölcseys „Hymnus" noch heute der Nationalgefaug des Ungarn ist.
Vörösmarty ist der größte Meister der modernen Ode, wie Berzfenyi der der
classischen war. Er hat Feuer, Kraft, Würde und rednerische Glut, flackernd und ungleich
zwar, allein immer überströmend und nicht selten stürmisch. In einer ganzen Reihe von
Meistergedichten gibt er der politischen Stimmung der damaligen Opposition Ausdruck;
in den nachfolgenden Dithyramben aber, wie „Das Haus des Reichstags", „Der alte
Zigeuner", erhebt sich sein Pathos zur höchsten Höhe, und was im „Szozat" schlimme
Ahnung war, wird in der Seele des Dichters zu wildem Schmerz.
Etwa ein Vierteljahrhundert lang herrschte Vörösmarty ohne Nebenbuhler in der
ungarischen Dichtung. Alle seine Zeitgenossen, welche Mitglieder des „Anrora"-Kreises
waren oder sich dem „Athenäum" anschlössen: die Lyriker Josef Bajza, Alexander Vachott,
Julius Särofy, die Epiker Andreas Horväth, Gregor Eznczor, Johann Garay, standen
mehr oder weniger unter seinem Einfluß, sie bewegten sich in demselben Stoff- und
Gedankenkreise wie ihr Meister, ohne jedoch über dessen Errungenschaften hinanszngelangen.
Unter den Lyrikern ragt Bajza hervor durch die süße Melancholie seiner Lieder, in denen
er ahnungsvoll dahinbrütet. Selten erhebt er sich zur Höhe der Ode, meistens weint er in
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch