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die besten: „Dieues", „Gritti", „Paul Beldi", „Die Schatten des Lichtes" und „Der
Thronprätendent"; unter den Lustspielen zeigen besonders „Die drei Gebote der Ehe",
„Oben hui und unten pfui", „Mama", „Weiberherrschaft" und „Liliomfi" seine reiche
komische Ader; von seinen Volksstücken haben „Der Findling", „Dalos Pista", „Der
Deserteur", „Der Zigeuner" und „Der Csikös" den meisten Beifall gefunden.
Szigligeti unterscheidet sich von seinen Vorgängern und Zeitgenossen durch gut
erfundene, gewandt durchgeführte Handlungen und einen starken Sinn für dramatische
Form; durch diese Eigenschaften hat er in der dramatischen Dichtung Ungarns eine neue
Epoche geschaffen. Gleich zu Anfang seiner Laufbahn fühlte er sich von den dramatischen
und tragischen Begebenheiten der ungarischen Geschichte angezogen und strebte bei ihrer
Gestaltung nach einheitlicher Handlung, nach genauer Charakter- und Zeitschilderung.
Von Stefan dem Heiligen bis zu Franz Raköczy II. hat er fast jedes dramatische Ereigniß
der ungarischen Geschichte bearbeitet. Wohl ist in diesen Werken die individuelle Leiden-
schaft nicht immer hinreichend von den die Zeit bewegenden Ideen durchdrungen, ja auch
die zahlreichen Wendungen der Handlung, die vielgewandten Behelfe ihres ganzen Gefüges
stehen nicht immer im Einklang mit den Charakteren der Rollen; später aber veredelt sich
sein Geschmack durch das Studium der großen Dramatiker, er befreit sich von den Maß-
losigkeiten der französischen Romantik und schreibt die erwähnten Tragödien, darunter den
„Thronprätendenten", der von manchen Kritikern den besten ungarischen Trauerspielen
zugezählt wird.
Seine Lustspiele fanden noch mehr Beifall. Anfangs schrieb er geschichtliche, später
sociale Lustspiele. Die Stoffe der letzteren entnahm er am liebsten dem Leben des Mittel-
standes, aber was er mit Lust und Erfolg darstellte, das waren weniger die Schwächen
der Charaktere als vielmehr die unterhaltenden Verwicklungen, die harmloseren Conflicte
des häuslichen Lebens. Gerne greift er sich eine hoch hinaus wollende Bürgerfamilie heraus
oder eine zungengewaltige Hanstyrannin, eines Ehepaars häuslichen Krieg und Friedens-
schluß, einen richtigen Pantoffelhelden und dergleichen mehr; da sind seine Gestalten von
größter Lebendigkeit und seine Erfindung scheint unerschöpflich an geschmeidigen Wendungen.
Eine bessere Posse als seinen „Liliomfi" hat das ungarische Theater noch heute nicht.
Das größte poetische Verdienst Szigligetis ist jedoch die Begründung des Volks-
stücks. Seit Karl Kissaludy war er der Erste, der dem Volksleben im Drama eine größere
Rolle zuwies und auch Charaktere entlehnte. Er brachte das ungarische Volkslied auf die
Bühne. Er wollte auf dramatischem Gebiete Schritt halten mit der Entwicklung der
ungarischen Lyrik und Epik und schuf eines der charakteristischesten Erzengnisse des im
Umschwung begriffenen socialen und politischen Lebens, das Volksstück, durch das er die
deutscheu Possen von der ungarischen Bühne verdrängte.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch