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mit seinen kriegerischen Dithyramben, mit dem Tode besiegelte er seine hochfliegenden
Träume und die stolze Schwärmerei für Weltfreiheit.
Die Poesie Petöfis brachte iu der ungarischen Literatur eine große Wandlung zu
Wege, die aber eigentlich nur die Richtung Vörösmartys weiter entwickelte. Die literatur-
geschichtliche Wichtigkeit seines Schaffens besteht darin, daß er die Lyrik an Inhalt und
Form nationaler machte; aus den Quellen der Volkslieder schöpfend, schuf er das specifische
magyarische Lied, und diese Entwicklung wirkte auf die ganze Poesie wohlthätig ein. Da
er ein Kind des Volkes war und sozusagen von der frühesten Jugeud auf das Vaterland
durchwandert hatte, blieben ihm dix bunten Scenen des Volkslebens tief ins Gedächtniß
geprägt und klangen nun in Liedern aus. Er besang Dinge, an die bisher Niemand gedacht
hatte, und in seinem Saitenspiel erklang eine so reiche Mannigfaltigkeit von Tönen der
naiven Freude, der elegischen Schwermuth, des schrankenlosen Übermuths, der wild-
feurigen Aufwallung, der idealistischen Begeisterung, der trotzigen Ungeduld, des hals-
starrigen Nationalstolzes, wie man dies in der Weltliteratur noch niemals gesehen. Seine
Poesie quillt so üppig, sie überströmt jeden Gegenstand, der ihm vorkommt, jede Scene,
die sich vor ihm abspielt, mit so lebhaften uud warmen Farben, sie entdeckt selbst in den
prosaischesten Gegenständen so viel Künstlerisches, daß sie das größte Staunen erregt.
Durch die Aufrichtigkeit und Schlichtheit eines ans tiefstem Herzensgrunde quellenden,
immer von seinem Eigenwesen eingegebenen Tones gestaltete er in wenigen Jahren den
ganzen Modegeschmack um. Durch seine lebensvollen Schilderungen, mit seinem starken
Sinn für das Charakteristische und Individuelle hob er sich weit über die Anhänger der
bereits übertriebenen idealistischen Richtung empor, welche bald in seine Fußstapfen
treten sollten.
Petöfi ist ein in jedem Atom magyarischer Poet, er ist der Dichter der Liebe, des
Familienglücks, der Naturschönheit, der Vaterlandsliebe, des Emporstrebens der Nation,
der Freiheit, der demokratischen Ideen uud der Revolution. Seine Lieder, diese kostbarsten
der Perlen der ungarischen Dichtkunst, entfalten uns die einfachen Empfindungen und eigen-
thümlichsten Charakterzüge des Volkes, bald mit spielendem Übermuth und gefühlvoller
Wärme, bald mit wildem Feuer und brütender Schwermuth. Alle lebensfähigen Elemente
des magyarischen Volksliedes sind in seinen Liedern zu finden, und zwar überall künstlerisch
gestaltet, in besonderer Anmuth und Ursprünglichkeit. Er „singt" uns seine Gefühle nicht,
sondern spielt sie uns vielmehr dramatisch vor. So ausgezeichnet wie seine Liebes- und
Weinlieder sind auch seine Landschafts- und Sittenbilder. Niemand weiß die wesentlichen
kennzeichnenden Züge mit wenigen Pinselstrichen treuer zu versinnlichen als Petöfi. Er
strömt seine Empfindungen über die Bilder der Natur aus und löst die Gegenstände
gleichsam auf in der Glut seiner Gefühle. Dabei hat er heiteren Hnmor und frohe Laune,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch