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Nicht so einschneidend, aber immerhin fühlbar genug für alle Stände waren die
Neuerungen auf dem Gebiete des Rechtswesens. Voll Anhänglichkeit an die patriarchali-
schen Rechtsverhältnisse der Vergangenheit, erblickten die Tiroler in den Neuerungen
vielfach Verletzung alter Rechte und Freiheiten. Die nenen Justizgesetze wichen allerdings
zum Theil sehr stark von den bisher üblichen Rechtssatzungen ab, wie die über die
Erbfolge in Bauerngütern, über die Vogtbarkeit der Frauen, das Erbrecht der Religiösen
nnd unehelichen Kinder :c. oder sie erschwerten und verthenerten die Gerichtsbarkeit und
verursachten den Gerichtsinhabern neue Opfer, wie das Stempelgesetz uud die Sportel-
orduuug. Die Einführung der allgemeinen Gerichtsordnung für die böhmischen und
deutsch-österreichischen Lande hatte in Tirol die Aufhebung einer Reihe kleinerer Gerichts-
bezirke, des landeshauptmannfchaftlichen Gerichtes zu Bozen, der oberösterreichischen
Regierung und des Revisoriums zu Innsbruck zur Folge. Die für diese errichteten Justiz-
behörden: das Landrecht zu Innsbruck, die Justizadministration zu Bozen uud das
Appellationsgericht zu Klagenfurt erschienen als kein geeigneter Ersatz; namentlich wurde es
sehr empfunden, daß alle tirolischen Gerichtsbehörden einem außerhalb des Landes
liegenden Gerichtshofe untergeordnet wurden.
Weniger zu beklagen hatten sich die Tiroler über die Neuerungen auf finanziellem
Gebiete. Im Zoll- und Weggeldwesen verfuhr der Kaiser sehr schonend. Die neue Erbsteuer
war freilich wie die Einführung des Stempelgefälles eine höchst mißliebige Maßregel.
Dagegen wurde die Durchführung der Steuerreguliruug als ein sehr nützliches Werk
allgemein uud insbesondere auch von der Landschaft angesehen, denn dadurch wurde die
Besteuerung viel gerechter und die Einnahmen wesentlich höher. Auch die ersprießliche»
Folgen der auf die Hebung der materiellen Cultur gerichteten Bestrebungen Josefs II.
konnten nicht ganz verkannt werden, aber die Wohlthat gerade des edelsten Gesetzes des
Monarchen empfand man in Tirol wenig, nämlich desjenigen, das die Aufhebung der
Leibeigenschaft anordnete. Dagegen traf die an so große Freiheit gewohnten Tiroler
Bauern die auch über unser Land verhängte Eonseription um so härter. Die jungen
Bursche suchten sogar durch die Flucht über die Grenze oder in abgelegene Gebirge oder
durch Selbstverstümmlung dem Militärdienst sich zu entziehen.
Noch weit mehr aber verletzte das Selbst- und Freiheitsgefühl des Tiroler Volkes
der Sturz der ständischen Verfassung. Kaiser Josef II. hob nämlich nicht blos die beiden
ständischen Activitäteu auf, sondern übergab schließlich auch die meisten Geschäfte des an
ihre Stelle getretenen perpetnirlichen Congresses dem landschaftlichen Syndiens, der in
seiner Eigenschaft als Gubernialrath ganz vom Gnberninm abhängig war; er benahm
ebenso dem verbliebenen Postnlatcongresse und Stenercompromisse jede Selbständigkeit.
Die durch den Sturz der ständischen Verfassung zunächst Betroffenen, die abgesetzten
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch