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streng und ein „lediges" Kind zu haben gilt dort nicht als Schande, besonders wenn,
wie es häufig der Fall, der Betreffende sein Mädchen später heiratet. In der That erklären
sich viele uneheliche Geburten aus dem Umstände, daß die späte Abtretung des heimatlichen
Gutes dem Sohn das Heiraten erst spät ermöglicht. Bedenkt man noch, daß die strotzende
Kraft dieser Bergbewohner und die reichliche Gelegenheit, welche durch das unbeachtete
Beisammensein der beiden Geschlechter auf der Alpe, beim Bergmahd :c, geboten ist, diesem
Naturtrieb leichter Vorschub leistet, so wird man bei Beurtheilung des ziemlich hohen
Procentsatzes unehelicher Geburten gewiß einen billigeren Maßstab anlegen.
Hervorgehoben zu werden verdient auch die große Offenheit, Ehrlichkeit und Ver-
läßlichkeit des Tirolers, sowie sein starkentwickeltes Rechtsbewnßtsein. Die Häuser auf
dem Lande sind noch gegenwärtig häufig uuversperrt, Geldangelegenheiten und Verträge
werden meist durch bloßen Handschlag bei einer Flasche Wein, die nicht fehlen darf,
abgemacht. Glaubt der Tiroler im Recht zu sein, so ist er schwer davon abzubringen, und
mancher aus Rechthaberei entstandene Proceß hat einen Bauern um Hab und Gut gebracht.
Arbeitslust und Erwerbstrieb sind beim Tirolerbauern nicht in dem Maße entwickelt,
wie es wüuscheuswerth wäre, und der Spruch: „Wenn der Bauer nicht muß, rührt er
weder Hand noch Fuß" hat in gewissem Sinne Berechtigung. Er arbeitet eben nur so
viel, als er zum Lebensunterhalt und zum Steuerzahlen braucht und läßt im Übrigen den
lieben Herrgott einen braven Mann sein. Dies gilt in erster Linie von den sogenannten
Dörchern oder Lanigern, einer ethnographischen Eigenthümlichkeit Oberinnthals und des
oberen Vinstgaus, welche Zigeuner Tirols mit ihren Karren, ihrem — Weibe und einer
Schar verwahrloster Fratzen als Pfannenflicker, Korbflechter, Obst- oder Geschirrhändler,
in Wirklichkeit aber der Mehrheit nach als vagabundirende Bettler landaus landein ziehen,
oft bis tief nach Kroatien und der Türkei, und nach Hause zurückgekehrt sich auf Gemeinde-
kosteu verpflegen lassen.
Aber selbst der emsige Bauer ist die Ertragsfähigkeit seiner Äcker und Wiesen
zu steigern in seltenem Falle bedacht. Es hängt dies mit dem Mißtrauen zusammen,
das der Tiroler im Allgemeinen Neuerungen, besonders auf laudwirthschaftlichem Gebiete,
und mögen sie noch so ersprießlich und fruchtbringend sein, entgegenbringt. Im Übrigen
ist der Tiroler sparsam, ja knickerisch und dreht einen Kreuzer zweimal um, bis er ihn aus-
gibt. Freilich muß man anch hier bei den Bewohnern der verschiedenen Thäler unterscheiden.
Das Gleiche gilt von der Mäßigkeit im Essen und Trinken. Der Südtiroler, besonders
der Burggräfler, ißt und trinkt sehr viel, ebenso wird im Unterinnthal nnd Pusterthal
beim Eßtisch tapfer zugegriffen, während der ärmere und nüchterne Oberländer mit
geringerer Kost zufrieden ist. Bedauerlich ist der fast in allen Landestheilen, vorzüglich aber
im Innthal verbreitete übermäßige Branntweingenuß, welche Pest seit Ende der Vierziger-
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch