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Sagen und Märchen, Volksliedern, Sitten und Bräuchen Herr Bolognini in Pinzolo in
den Amman der Tridentiner Alpinisten schon eine lange Reihe der werthvollsten und
anziehendsten Mittheilungen veröffentlicht hat. Dieselben sind nm so werthvoller, als man
es iu Reudena mit rein romanischem Volksthnm zu thun hat. Ich weiß nicht, ob es wahr
ist, will es aber gern glauben, daß es in Rendena Erzählerinnen gibt, welche nicht blos
ihren Hanf oder Flachs, sondern anch ein Märchen Abend für Abend wochenlang fort-
zuspinnen und die Zuhörer iu steigender Spannung zu erhalten vermögen. Es stimmt
zu den wundervollen, noch lange nicht genug gewürdigten Naturschönheiten dieses matten-
nnd waldreichen Thals mit seiner erhabenen Gebirgs- und Gletscherwelt, daß auch ein
bei aller Prosa des täglichen Lebens poetisch veranlagtes, die alten Überlieferungen selbst
in drastischen Schreckensgestalten zähe festhaltendes Volk es bewohnt.
Zu den Sagen, welche geschichtliche Erinnerungen bewahren, gehört in erster Reihe
eine Karlsage, welche von Valcamonica über den Tonale in den Sulzberg und von da
nach Rendena sich herüberspinnt.
Wie schon in den landschaftlichen Schilderungen bemerkt worden ist, heißt eine
Hochebene ober Campiglio in Rendena „das Lager Karl des Großen" (il camp» cki
Larloinaxno). Eine halbe Stunde oberhalb Piuzölo steht auf einem Felsen, wahrscheinlich
an der Stelle eines malten Schlosses, die höchst merkwürdige Kirche S. Stefano. Auf
einem der fünf Altäre derselben ist in einem Gemälde dargestellt, wie der Papst im Beisein
Karl des Großen und mehrerer Bischöfe einen nur mit einer weißen Binde um die
Leudeu bedeckten Heiden tauft, während daneben viele andere solche noch auf die Taufe
warten. Darunter steht eine lange lateinische Inschrift aus dem Jahre 1429, welche sich
im Anfang für eine ,eopia privile»ii sancti Stolani 6e lianckena," erklärt. Sie erzählt
wie .Oai'ulus", das ist Karl der Große, von sieben Bischöfen begleitet mit einem Heere
in Valcamonica an mehreren Orten mit heute theils verständlichen, theils dunkeln, vielleicht
auch entstellten Namen die Heiden und Juden tödtete oder bekehrte, Schlösser zerstörte
und verschiedenen Heiligen Kirchen erbaute, wie er dann über den Tonale in den Sulzberg
und von dort nach Rendena kam und hier sein Werk fortsetzte. In Sulzberg wird als Ort
(terra), wo er eine große Menge von Heiden und Juden tödtete, „Plezan", wohl das
heutige Dorf Pellizzano, genannt. Hier begab sich anch ein Wunder. Der Bischof Tripinus
(Tnrpinns) hatte den Schaft der Fahne in die Erde gesteckt, und als die Bischöfe aus der
Kirche kamen, fanden sie denselben in Blüte. Als der gewaltige Carnlns nach Randene
kam, entfloh vor ihm der oberste Häuptling (ma^or 5uckaeus) und ging über das Meer,
sein Schloß aber wurde niedergeworfen. Nicht besser erging es der Burg eines anderen,
welcher ,Latani" (das ist eapitaneus, Hauptmann) genannt wurde, in „Pelne" (heute
Dorf Pelugo), obwohl er sich unterworfen und bekehrt hatte. Karl bekehrte da alle Juden
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch