Seite - 64 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Böhmen (2), Band 15
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Man kann demnach behaupten, daß die Anfänge der literarischen Thätigkeit auch
in Böhmen zum großen Theile unter den mächtigen Eindrücken des nenen christlichen
Glaubens entstanden sind. Gewiß ist aber eine geraume Zeit vergangen, bevor das
Christenthum im Volke die einstigen heidnischen Anschauungen wenigstens im Großen zu
unterdrücken vermochte, bis das slavische Volk seine Traditionen aufzugeben begann und
sich der fremden Lebensweise und Gewohnheit anschloß. Die ältere böhmische Geschichte
berichtet uns vielfach von dem zähen Widerstand, der sich gegen Neueruugen, auch wen»
sie nützlich waren, im Lande erhob, — und dieselbe Geschichte weist uns eine Fülle über-
zeugender Belege von einer frischen nationalen Kraft, die uns bezweifeln läßt, daß es bei
dem überdies durch seine Gabe des Gesanges berühmten Volke lange Zeit hindurch zu
keinen selbständigen Äußerungen, wenigstens einer elementaren Begeisterung gekommen
sein sollte.
Die Vermuthung vou der Existenz solcher Producte fand nach den Angaben jener,
die die ganze Entdeckung für echt halten, im ersten Viertel des XIX. Jahrhunderts eine
Bestätigung durch den Fund zweier Denkmäler altböhmischer Volkspoesie: wir meinen
die Grünberger und Königinhofer Handschrift.
Die Grünberger Handschrift, weniger richtig Libnsa's Gericht genannt, hat
ihren Namen von dem Schlosse Grünberg Helena Hora)iu der Nähe von Nepomnk(südlich
von Pilsen), wo sie im Jahre 1817 unter alten Archivalien gefunden worden sein soll
und von wo sie nach der Gründung des böhmischen Museums im Jahre 1818 nach Prag
geschickt wurde. Sie besteht aus vier Octavblättern, deren Pergament alt, die lateinische
Schrift rund und grünlich ist. Sie enthält zwei ungleich lange Bruchstücke. Das erste
davon hat 9 Verse und wird für den Schluß eines Gedichtes, in dem vor den Kmeten,
Lechen und Vladyken über eine Familiensatzung verhandelt wurde, gehalten; das zweite
enthält 112 Verse und schildert einen Streit zwischen den Brüdern Chrudos und Skaglav,
die wegen des Erbes uneinig geworden sind und die Schlichtung des Streites der Fürstin
Libusa übertrugen. Es werden zu Gericht die erwähnten Großen auf den Vysehrad
berufen und hier wird entschieden, daß beide Brüder nach herkömmlicher Weise das
väterliche Erbe gemeinsam besitzen sollen. Durch diese Entscheidung angebracht, da er
sich in seinem Rechte verkürzt wähnt, beschimpft der ältere Chrudos Libusa; die beleidigte
Fürstin entsagt der Regierung und fordert die Anwesenden auf, sie möchten sich einen
Mann, der ihnen gewachsen wäre, erwählen, auf daß er sie mit eiserner Hand beherrsche,
die Kräfte eines Mädchens reichten dazu nicht aus. — Der Schluß fehlt.
Das Denkmal weist sowohl bezüglich seiner äußeren Gestalt, als auch bezüglich
seines Inhalts so manche Eigenthümlichkeiten auf. Auffallende paläographische Momente
lassen nicht das Alter mit aller Bestimmtheit erschließen und in seiner Sprache
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch