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Citate aus beiden Testamenten zu belegen verstanden. Diese geistige Regsamkeit hatte zur
Folge, das; die biblischen Bücher nicht nur einzeln abgeschrieben, sondern auch in einheit-
liche Complexe zusammengefaßt wurden, wobei der vormalige Text lange Zeit entweder
ganz beibehalten oder zum Behuf des Verständnisses nur mäßig geändert wurde. Als
Hauptproduct dieses Sammeleifers stellt sich, so weit bekannt, die Slavatische (Leitmeritz-
Wittinganer) Bibel dar, zwischen den Jahren 1410 bis 1416 von Matthias Jacobi aus
Prag auf Pergament geschrieben und so prächtig ausgestattet, daß uach Dobrovsky's Worten
ihrer „sich der König nicht schämen dürfte"; neben dieser existirt noch eine lange Reihe
anderer Bibeln, unter denen die Leskowetzer (Dresdner), die Emanser (in glagolitischer
Schrift) und die Olmützer zu den ältesten und stilistisch originellsten gehören.
Hns' treuer Freund M. Hieronymus von P r a g (circa 1379 bis 1416) that
sich durch keine schriftstellerische Thätigkeit hervor, obgleich er ein Mann von hinreißender
Beredtsamkeit war und sich nebstdem einer umfassenden Kenntniß fremder Länder rühmen
konnte. Sein heftiger, immer nach Neuem ftrebeuder Charakter ließ ihn bei ruhigem
Schaffen nicht ausharren, er brachte daher außer einigen literarischen Versuchen kein
größeres Werk zuwege. Dafür trug er durch seinen tragischen Tod zu der vollständige»
Änderung des nationalen Lebens sehr viel bei.
Die leidenschaftliche Gährung, die von den Constanzer Flammen angeregt alle
kirchlichen und socialen Verhältnisse in Böhmen zerrüttete, ergriff in kurzer Zeit die
gesainmte Literatur und gab ihr einen scharf polemischen, unerfreulichen Charakter, weil
die Anhänger der verschiedenen Seiten sich mehr und mehr in Unnachgiebigst verrannten
und nur sich selbst für unfehlbar hielten.
Einen ganz eigenthümlichen Standpünkt nahm Peter Chelcicky (gestorben 1460)
ein. Er war ein einfacher Landmann aus der Umgebung von Wodnan, im Latein sehr wenig
bewandert, aber dafür ein eifriger, nachdenkender Leser böhmischer Schriften, der mit den
ersten einheimischen Theologen persönlich bekannt und ihrer Lehren wohl bewußt war.
Über die heilige Schrift, namentlich die Bücher des Neuen Testaments grübelnd, war er
zu der festen Überzeugung gelangt, daß keine von den damaligen religiösen Parteien die im
Evangelium gepredigten Grundsätze durchführe, sondern daß jede aus weltlichen Beweg-
gründen von ihnen abweiche. Das Muster wahrhast christlichen Lebens ist nach ihm in der
ursprünglichen apostolischen Kirche zu suchen, welche keine Gewalt eines Menschen über
den anderen, keine Standesunterschiede, sondern nur brüderliche Liebe kannte. Dieses
Verhältniß habe sich jedoch seit jeher sowohl durch weltliche als auch durch geistliche
Institutionen getrübt; es bleibe daher nichts übrig, als die Rückkehr anzustreben, und
zwar nach Christi Beispiel auf dem Wege der Geduld uud Demuth, da mit materiellen
Waffen gegen die Bosheit der Welt anzukämpfen sündhaft sei. Diese seine Ansichten
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch