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der erste, der sich dieser bildenden Arbeit hingab. Seinem Berufe nach Lehrer der Kirchen-
geschichte und Philosoph, legte er das höchste Gewicht auf einen lebendigen Stil und erzog
seine Hörer in fleißigen Übungen zur Klarheit und Selbständigkeit der Ausdrucksweise.
Seine „Klugheitslehre", zum Theile Ethik, zum Theile ein Buch praktischer Lebensweisheit,
bekennt sich zur Glückseligkeitsphilosophie und gibt uns, aus akademischen Vorlesungen
hervorgegangen, eine Vorstellung von seiner Art, die Gedanken im Hörsaal zu entwickeln.
Den meisten Lebensregeln folgen Dialoge, welche nicht etwa blos die kahle Anwendung
des Satzes enthalten, sondern offenbar mit schriftstellerischem Ehrgeiz ausgeschmückt, humo-
ristisch gewürzt und dramatisch belebt sind. Aus einer gewissen pedantischen Gravität und
Enge ist Seibt nie ganz herausgetreten, so sehr er die frischeren und urwüchsigeren
Regungen der Jugend ermunterte und anerkannte. Ein unlösbarer Rest von Pedanterie bleibt
selbst da in seinen Schriften zurück, wo er mit den Formen spielt und den leicht gestaltenden
Schriftsteller hervorkehren möchte. Anders der Mann, der sich ihm im Jahre 1785 als
Professor der Ästhetik an die Seite stellte, durch etwa zehn Jahre — mehr Widerpart als
ergänzende Kraft —mit ihm zusammenwirkte und bis zum Jahre 1805 eine Art literarischer
Herrschaft in Prag behauptete. August Gottlieb Meißner, ein Heimatsgenosse Seibts —
der erste Protestant, der an die Prager Universität berufen wurde — war zugleich der erste
ausgesprochene Weltmann auf einer Prager Lehrkanzel. War Seibt der ehrlich wirkende
Pedant, der sich ab und zu zum leichteren Spiele herabließ, so gab sich Meißner schon
ganz als de! espr-it. der vor Allem gefallen will. Nicht viel mehr als der Durchschnittstypus
des bedeutenderen Literaten der Achtziger-Jahre war mit Meißner nach Prag gekommen,
aber für das geistige Leben der Stadt war der vielseitige Mann, der erstaunlich rasch las
und verarbeitete, sich jeden Stil mit der größten Leichtigkeit aneignete, in der Wissen-
schaft mit der Kunst, in der Kunst mit der Wissenschaft kokettirte, von hoher Bedeutung.
Rastlos thätig griff er nach den verschiedensten Seiten aus; er schrieb mit Dialogen unter-
mischte Culturromane, mengte nach dem Geschmack der Zeit in seinem „Alkibiades", der
für sein Hauptwerk galt und in mehrere fremde Sprachen übersetzt wurde, die tugendhafte
Rührseligkeit mit der unter Thränen zwinkernden Sinnlichkeit, dichtete Lust- und Schau-
spiele den Franzosen nach und warf nach dem Muster der älteren Italiener Erzählungen
von auekdotarischem Kerne hin. Ab und zu erinnert eine Scene seiner Novellen daran,
daß Casanova, der mit ihm gleichzeitig in Böhmen lebte und auf dem Waldstein'schen
Schlosse in Dnx von seinen Wanderungen und Irrfahrten ausruhte, dem Prager
Professor der Ästhetik und dem Geschmack seiner Zeit nicht allzuferne stand. Deutlich
merkt man auch die Hinneigung zu Wieland, dem der Verfasser des „Alkibiades" den
Epiknräismns nachfühlt und dem er in der kunstvollen Lässigkeit bequemer Plauderei nach-
zueifern sucht, und Bürger ist das unverkennbare Muster seiner volkstümlichen Balladen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch