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Diphthonge ie und uc>: kricha, flissa — fließen, Buch — mittelhochdeutsch buvch, ruffa
— rnofen. Der Umlaut ist in vielen Fällen zurückgezogen, wenn anch nicht behauptet
werden kann, daß die Mundart gegen denselben eine besondere Abneigung hätte.
Der Dialect verfügt über einen reichen Wortschatz. Altgermanische, sonst ausge-
storbene Wurzelu haben sich in einzelne Redensarten geflüchtet. So ist mittelhochdeutsch
verch Leben (verchblnot) erhalten in: „sech di Värchöder verranka", womit eine innere
tödtliche Verletzung bezeichnet wird. Urbern — geräuschvoll geschäftig seiu geht auf mittel-
hochdeutsch: urboru zurück, urschen vergeuden auf gothisch: usitau. Viele Wörter kommen
in eiuer Reihe von Nebenfornien vor, mit welchen den Bedeutungen in einzelnen Loealen
abweichende Färbungen ertheilt werden. Selbst die Bezeichnungen für gewöhnliche Dinge
sind mitunter verschiedenen Wurzeln entnommen, wie z. B. im nordwestlichen Theile des
Landes statt „Wald" ausnahmslos Poisch — Busch in Verwendung steht. Gegenüber
andern Dialecteu hat das Schlesische den Unterschied zwischen starker und schwacher
Conjugation viel treuer festgehalten. Das starke Jmperfect des Indicativs ist selbst da
bewahrt, wo es im Hochdeutschen längst erloscheu ist: boll, gebolleu von bellen. Die
Ablautsreihen treten, wenn auch durch den gesetzmäßigen Vocalwandel verändert, klar
und deutlich hervor. Dabei begegnen alte Formen wie: ich tor (mittelhochdeutsch türreu)
für dürfen, dann der Imperativ bei — sei, welcher so eingebürgert ist, daß sich anch der
Städter ein: „bin so gut" leicht entschlüpfen läßt.
Bei der Declination des Snbstantivums herrscht Verwirrnng wie im Schriftdeutschen,
aber die starke Genitiv- und Dativendnng haftet im Sprachbewußtsein. Viele Worte,
namentlich die MaScnlina, vermeiden den Umlaut, bei andern, wie z. B. bei Täge, ist er
gegen den allgemeinen Gebrauch eingedrungen. Charakteristisch ist für das Schlesische
das mit den Betonungsverhältnissen im Zusammenhang stehende Festhalten an dem
Flexions-e der schwachen Maskulina: der Ochse, Bäre n. s. w. Das Geschlecht weicht öfter
vom Schriftdeutscheil ab. Männlich werden gebraucht: Binn — Biene, Fön — Fahne,
Ern — Erde; weiblich: die Bach, die Schoß, die Hüu; sächlich: das Dienst.
Das Adjectiv wird meist uuflectirt mit dem Substantiv verbunden: a schein Resla,
a kll'u Brückla. Bei nachdrücklichen Steigerungen treten zwischen den doppelt gesetzten
Artikel die Wörter sehr, zu, gar: a sir a guttr Kalla — ein sehr guter Kerl. Andere, früher
gangbare Eigenthümlichkeiten, wie der Gebrauch des „sich" bei reflexiver Beziehung auf
die erste Person der Mehrzahl und ähnliche, sind dem Einfluß der Schule fast gauz
gewichen. Überhaupt hat das Schlesische wegen seiner verhältnißmäßig geringen specifischen
Unterschiede vom Schriftdeutschen zu wenig Widerstandskraft, um sich in einem betriebsamen,
den Cultnreinslüssen geöffneten Lande in seiner Eigenthümlichkeit nnd organischen Ent-
wicklung auf die Dauer behaupten zu köuueu.
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Mähren und Schlesien, Band 17"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Band 17
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Mähren und Schlesien
- Band
- 17
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.42 x 21.88 cm
- Seiten
- 750
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch