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der Fenster zusammen, die des Abschlusses sind stumpfwinklig. Sie sind sämmtlich mit
abwechselnd birn-, leisten- und stabsörmigen Diensten, mit Hohlkehlen und zierlichen
Baldachinnischen bedeckt. Jeder Dienst hat seinen eigenen polygonalen Sockel und ein doppel-
kelchsörmiges Capital; auf diesen setzen die Rippen des ziemlich einfachen Netzgewölbes auf.
Die Wandflächen zwischen den Wandpfeilern sind mit Blendarkaden geschmückt, die sich
nach oben in den mächtigen Fenstern gleichsam fortsetzen. Am westlichen Ende der Kapelle
befindet sich eine bis zum ersten Pfeilerpaar reichende geräumige Empore, die auf zwei
freihängenden und geschweiften Spitzbogen ruht. An der Außenseite beschränkt sich der
Zierat auf die mit größeren oder kleineren Baldachinnischen uud Fialen geschmückten
Streben. Indem man das schöne Materiale dieses Banwerks, seine harmonischen Ver-
hältnisse, die prächtige Ausschmückung und die fast minutiöse Sorgfalt der Ausführung
betrachtet, fragt man neugierig, welcher freigebige Bauherr und welcher kunstreiche Meister
wohl an diesem entlegenen, vereinsamten Punkte das kostbarste Erzeugnis gothischer Bau-
kunst in Ungarn geschaffen haben mag. Der Überlieferung nach hätte ein Mitglied des
steinreichen Hauses derZapolyai, vielleicht Hedwig, Gemahlin des Palatins Stephan, beide
Kapellen gestiftet, und beide mögen Werke eines aus dem Auslande, vielleicht aus der
Wiener Bauhütte berufenen Meisters sein. Diese Kapelle verläugnet ihre Zeit nicht. Sie
weist Details auf, welche der spätgothischen Kunst angehören. Allein es ist bewunderungs-
würdig, wie der zur Verfallszeit lebende Meister stellenweise, namentlich an den Pfeilern,
sein Banwerk mit fast überfchwänglichem Reichthum ausschmückte und dennoch den über-
flüssigen, schreienden Prunk vermied, sich nicht ans das Spiel mit zwecklosen, prahlerischen
Formen verlegte, vielmehr selbst in seiner verschwenderischen Laune den organischen
Zusammenhang zwischen Ornament nnd Constrnction nicht verlor.
Der Waldreichthnm des Oberlandes macht es begreiflich, daß die Bevölkerung ihre
Häuser und Kirchen aus Holz baute und daß die Übung dieser Bauweise bei dem
magyarischen, deutschen, slavischen und rumänischen Volke sich von Geschlecht zn Geschlecht
forterbte. So kam es, daß, während an manchen Orten die alten Holzconstrnetionen mit
der Zeit durch Steinbauten ersetzt wurden, in vielen Gegenden das Volk jahrhundertelang
treu an der alten Übnng festhielt und den morsch gewordenen Holzbau ausbesserte oder
durch einen anderen ersetzte, ja daß die Dorfbewohner, wenn sie auswanderten, ihre selbst-
gefertigte Kirche mitnahmen, dabei aber immer Schritt gehalten wurde mit der Entwicklung
der Baukunst, deren neuere Formen gern angewandt wnrden. Als das griechische Glaubens-
bekenntniß an die Stelle des römischen trat, paßte sich die Anordnung der Holzkirche den
Anforderungen des Gottesdienstes an. So lebte der Holzbau, als tief im Grunde der
Gewohnheit wurzelnde volkstümliche Kunst, bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts
fort, nnd seine bedeutenden Denkmäler, die Holzkirchen, sind noch jetzt in stattlicher Anzahl
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch