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Tatragesellschaft angelegten Wege und das beqneme, geräumige Schutzhans erleichtern
sehr die Besichtigung dieser Perle der Tatra.
Die Perle der Tatra! . . Wir habe» jetzt die beste Gelegenheit nns zu überzeugen,
daß dieser Ausdruck nicht übertrieben ist. Die Sonne steht »och hoch am Himmel uud
umgibt Alles mit einem krystalleneu Lichtäther, in dem die wunderbaren Natnrbilder wie
vergrößert und verklärt aussehen. In dem smaragdgrünen Antlitz des See's spiegeln sich
die granitenen Titanen, die da Wache halten. Im Süden drohen die Mieguszowieer Grate
mit dem gewaltigen Mönch (2435 Meter), an ihren Gehängen verästeln sich die weißen
mit Schnee ausgefüllten Klüfte wie die Geweihe eines Riefenelenthieres. Das westliche
Ufer beschließen die zackigen Rücken des Miedziane und Opalouy, im Südosten erhebt sich wie
eine Cyklopenmauer ein mächtiger Damm, der nur die Vorstufe zu den erhabenen, in den
Wolken verschwindenden Rysy (25(18 Meter) bildet. Der Übergang von dem Smaragdgrün
des See's zn dem dunklen Colvrit der Bergriesen wird durch das Baud der Rothtannen-
uud Zirbelkieferhaine vermittelt und die leuchtenden Schneefelder lassen die ernsten, dnnklen
Farbentöne besser hervortreten.
Doch die Sonne neigt sich langsam gegen die Tatragrate, es ist die höchste Zeit, noch
den oberhalb des Fischsee's, bereits ans dem zwischen Galizien nnd Ungarn strittigen
Gebiet gelegenen „Schwarzen Teich" zu besichtigen. Wir besteigen den bereits
erwähnten Riesendamm, den noch hier nnd da eine verkrüppelte Zirbelkiefer uud
kriechendes Krninniholz ziert, nnd stehen plötzlich vor einem düsteren Kessel, dessen untere»
Theil die Fittige der ewigen Dämmerung bedecken. Es ist der Weg des Todes, den wir
betreten, mit jedem Schritt wird unsere Seele stiller! Wie in jenem fabelhaften Upas-
thale, wv alles Lebende in dem giftigen Hanch des Todesbaumes sterben muß, ist hier
die Vegetation und die Thierwelt vollständig verschwunden. Nur rauhe, duukle Fels-
colosse mit wild zu ihren Füßen zusammengehäuften Bergstürzen starren rings nm uns
her nnd in der Mitte glänzt unheimlich mit phosphorefcirendem Licht der Schwarze
See, dessen Finten eher ans infernalischem Theer und Pech als aus lebenspendendem
Wasser zu bestehen scheinen. Wahrhaftig! . . Es ist eine Scene aus der Dante'schen Holle;
mit bebendem Herzen erwarten wir, daß bald aus deu schauerlichen Fluten die Jammer-
gestalten der unglücklichen Verdammten auftauchen werden, und blicken bange ringsherum,
den Meister zu erspähen, der uns von dieser Todesstätte auf die schöne Erde zurückbringt.
Die nordgalizische Tiefebene. Kein anderes Kronland unserer Monarchie kann
sich einer so großen Mannigfaltigkeit der Bodengestaltung rühmen wie Galizien. Das
Plateau von Podolien, das Mittelgebirge der Karpathen, das Hochgebirge der Tatra, das
geologisch uud landschaftlich selbständige, mit den westlicheren Gebieten im Zusammen-
hange stehende Großherzogthum Krakau und endlich die als Fortsetzung der baltischen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch