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oder Bäume gepflanzt oder sie bleiben auch ohne jedes Zeichen. Nach dem Begräbniß
pflegt im Todtenhanse eine bescheidene Bewirthnng stattzufinden.
Volkslied. Die Polnische Volkssprache kennt den Ausdruck „Poesie" uicht. Das
Wort vviers? <Vers) aber bedeutet soviel, als „Zeile" und darf nicht, wie dies manchem
Ethnographen begegnet, mit vviers?!» verwechselt werden, das aus der Volksdichtung
bekannt ist und ein bis heute bei den Lasowiaken und anderwärts bekanntes Werkzeug zur
Fischerei bezeichnet. Alles, was nicht Prosa ist, wird vom polnischen Volke „Lied" genannt;
und das mit Recht, da außer den gereimten Sprichwörtern uud Räthseln alles als Lied,
das heißt Gesang, fortlebt.
Erst in unserem Jahrhundert hat sich die Aufmerksamkeit der Forschung der
urwüchsigen Volksdichtung zugewendet. Seit 1820 ungefähr werden in allen Theilen
Polens Lieder und Erzählungen gesammelt und veröffentlicht. In Galizien ist diese
Richtung hauptsächlich durch einen Mann repräsentirt, welcher in der Geschichte dieses
Landes sich einen rühmlichst bekannten Namen gemacht hat. Wenzel Zaleski, in seinen letzten
Lebensjahren k k. Statthalter, war ein eifriger Liebhaber und Sammler des Volksliedes,
und ließ unter dem Pseudonym Waelaw z Oleska eine Sammlung derselben erscheinen,
die in jenen Jahren die reichhaltigste war und für immer verdienstvoll bleiben wird.
Das Volk unterscheidet „weltliche" das heißt profane, und „fromme", das heißt
religiöse Lieder oder vielmehr Gesänge; unter den weltlichen wieder öpievvki („Liedlein",
„G'stanzeln") und Lieder im eigentlichen Sinne. Die letzteren sind, wie die frommen
Lieder, ausschließlich für den Gesang, die „Liedlein" außerdem zum Saitenspiel und Tanz
bestimmt. So sind denn die spie^vki eigentlich Tanzlieder oder Tanzweisen.
Das Tanzlied bildet den Löwenantheil der polnischen Volkspoesie, nicht nur um
seines fast unerschöpflichen Reichthums willen, sondern auch darum, weil es im eigentlichsten
Sinne Volkspoesie, das heißt eine wahrhaftig aus dem Herzen des Landvolkes geschöpfte
Poesie ist, weil es dieses Volk und mit ihm die ganze Nation am getrenesten wiederspiegelt.
Da es dazu bestimmt ist, vor den Musikanten abgesungen zu werden und znmeift vor ihnen
komponirt wird, so ist das Tanzlied der Natur der Sache nach kurz, zwei- oder vierzeilig
(selten länger). Da aber der Musikant es dem Gehör nach spielen soll, damit der Sänger
mit seinem Dirnlein tanzen könne, was ihm beliebt, so ist sein Rhythmus und seine
Melodie der Rhythmus und die Melodie der polnischen Tänze.
Es kaun nichts Anmuthigeres geben, als dieses Ablauschen, und im Fluge Erfassen
des Volkscharakters, wie er sich da ohne den geringsten Vorbedacht oder Vorsatz gibt.
Wenn der Bauernknecht mit seiner Tänzerin vor den Musikanten steht und singt:
„Bin ein schlanker Bursche,
Fürchte keine Prügel; Wer die Prügel fürchtet
Bleibe hinter Schloß und Riegel."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch