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zu einer eminent politischen erhoben und geadelt hätte. König Johann Sobieski hatte
nämlich den polnischen Armeniern in den weitsichtigen Plänen seiner Orientpolitik eine
hochwichtige Rolle zugedacht. Er plante ein selbständiges armenisches Reich in Asien, das
unter Roms geistiger und Polens politischer Suprematie die Türkei in Schach halten sollte.
Daß die polnischen Armenier als enkants moclels zur Vermittelung und thatkräftigen
Förderung seiner Pläne ausersehen waren, ist selbstverständlich; leider kam das groß-
gedachte Unternehmen über zwei diplomatische von Armenien geführte Missionen an den
König von Persien (1686) und an den Patriarchen von Etschmiadzin (1696) nicht hinaus.
Nach des großen Königs so vorzeitigem Tode (1696) fand sich in Polen Niemand, der die
große Idee aufgegriffen hätte, wohl aber erfahren wir aus Heigels historischen Studien,
daß kurz darauf dem Kurfürsten Wilhelm von der Pfalz die Krone des zu gründenden
armenischen Reiches angetragen wurde, was wohl in irgend einem inneren Connexe mit
Sobieskis gescheiterten Plänen stehen dürfte.
Das XVIII. Jahrhundert hat im Ganzen und Großen sowohl in der allgemein
polnischen als auch in der armenischen Specialgeschichte wenig Erfreuliches zu verzeichnen;
zwar beginnen schon Mitglieder hervorragender armenischer Familien Ämter zu bekleiden
und an der Politik regen Antheil zu nehmen, aber erst der Zusammenbruch der politischen
Selbständigkeit hat die polnischen Armenier endgiltig zu Polen gemacht; auch hier erwies
sich wieder die einigende Kraft des gemeinsamen Unglücks. Seit dem letzten Viertel des
XVIIl. Jahrhunderts kann die Polonisirnng als vollzogen betrachtet werden. Die Armenier
haben mit gleichem Schmerz das herbe Weh des Untergangs empfunden und mit gleicher
Begeisterung an den Befreiungskämpfen theilgenommen; sie haben, um mich derGoethe'fchen
Antithese zu bedienen, mitgeliebt und mitgehaßt; ihre Anhänglichkeit an das nene Vaterland
stieg im gleich raschen Verhältniß mit dem allgemein polnischen Nationalbewußtsein, das
den ersten mächtigen Ausdruck in der Maicvnstitntion vom Jahre 1793 gefunden hatte.
Es bildete sich nun zwischen der armenischen Familiengruppe und der polnischen
Nation ein eigenthümliches und für den Fremden nicht leicht verständliches Verhältniß
heraus, das in der Sonderstellung gegenüber der römisch-katholischen Kirche seine tiefere
Begründung findet. Die polnischen Armenier sind katholisch, aber armenisch-katholisch,
sie bilden in dem weltumfassenden Gebilde einen kleinen, aber fest nmrissenen, concentrischen
Kreis. So haben sie sich auch im breiten Rahmen des polnischen Volks- und Gemüths-
lebens durch Wahrung gewisser Sitten und Gebräuche, durch euges Zusammenhalten
eine Art von weltlichem Ritus herausgebildet, der sich schon äußerlich durch die Stärke
der Race, durch den, trotz der sich heutzutage mehrenden Vermischung mit polnischem Blute,
immer durchschlagenden orientalischen Typus merkwürdig kundgibt. Nur eine verschwindend
kleine Anzahl der Familien, wie z. B. die Passakas, Cheuk, Romaszkau, Szadbey haben
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch