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für die Geschichte der Musik in Polen wenig Interessantes. Während in Deutschland,
ungeachtet der mächtigen Protection, deren sich die Italiener auch hier erfreuten, sich
mit der Zeit die einheimischen Talente Bahn zu brechen wußten, kümmerte sich in Polen
Niemand um dieselben, höchstens daß einer polnischen Sängerin oder einem Sänger die
hohe Ehre beschieden wurde, in einem italienischen Ensemble mitwirken zu dürfen.
Im Jahre 1765 wurde zu Warschau von Stanislaus August Poniatowski, dem
letzten König von Polen, ein ständiges Nationaltheater gegründet und damit ein
Institut geschaffen, in welchem einheimische Talente willige Aufnahme fanden. An diesem
Institute wirkten einige geschickte Componisten, wie Weinert, Stefani, Kamieuski, Elsner
(Lehrer Chopins) und Kurpinski.
Wir werden uns bei diesen Musikern nicht aufhalten und es genügt die Bemerkung,
daß bei einigen gute Schule ohne Talent, bei anderen Talent ohne Schule höhere Zwecke
zu verfolgen nicht erlaubten.
Erst im XIX. Jahrhundert haben die Polen auf dem Gebiete der Musik eine
beachtenswerthe Stellung errungen.
Der hellste Stern, der auf diesem Horizont aufging, ist Chopin, das Eigenthum
der ganzen Menschheit, eine Erscheinung, die aus sich selbst hervorgegangen ist. Alles, was
er geschaffen hat, ist durch und durch polnisch, aber so gottbegnadet war seine Phantasie,
daß sie Alles was sie berührte, zu den höchsten Regionen der Poesie erhob. Es ist hier
nicht der Ort, auf eine Analyse dieses populärsten Tondichters einzugehen, sicher ist
leider nur, daß er in Polen lange Zeit hindurch mehr bewundert als verstanden wurde,
und daß wir keineswegs Recht haben, Anspruch auf das Verständniß und Verständigmachen
seiner Meisterwerke zu erheben. Schumann war der Erste, der mit genialem Blick aus den
Erstlingswerken unseres Tondichters den Kern seines Talentes wahrnahm, der das gebildete
deutsche Publikum auf dieses Talent aufmerksam machte und mit selbstlosem Eifer an der
Anerkennung desselben wirkte. Das gleiche Verdienst gebührt Franz Liszt, der die Werke
Chopins durch das lebendige Wort, vor Allem aber durch sein geniales Spiel verständlich
machte. Der größte Virtuos der Welt reichte dem unerreichten Tondichter die Hand, dessen
herrliche Schöpfungen erst durch das herrliche Spiel zum wahren Ausdruck gelangen
konnten. Neben Liszt war auch Anton Rubinstein einer der wirkungsvollsten Interpreten
unseres Tondichters.
Der große Ruhm, den Chopin nach seiner Übersiedlung nach Paris in kurzer Zeit
erlangte, wirkte auf seine Landsleute insofern anregend, als es ihm viele nachmachen
wollten. Die Spontaneität seines Talentes führte indeß seine Bewunderer zu dem falschen
Schlüsse, daß die beste Schule keine Schule sei, und so wuchsen denn in Polen Talente wie
Pilze nach dem Regen empor, die aber auch sehr bald wieder verschwanden.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch