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Blicken der Fremden zu entziehen und um ihr Eigenthum zu schützen, was ihren Häusern
einen geheimnißvollen Anstrich verleiht. So mittheilsam sie ihren Stammesbrüdern gegen-
über sind, so mißtrauisch sind sie gegen Fremde, weshalb man auch über ihr geselliges
Leben, wenn bei ihnen überhaupt von einem solchen die Rede sein kann, wenig oder nichts
erfährt.
Ihre Feste und Hochzeiten erhalten durch das Absingen etwas monotoner religiöser
Gesänge und weltlicher Liebeslieder eine originelle Abwechslung. Um heiraten zu können,
soll der Bursch, wenn er auch kein Haus und Feld sein eigen nennt, doch Wagen und Pferd
besitzen; das Mädchen bekommt zur Aussteuer gewöhnlich Feld und eine Kuh. Die jungen
Leute wohnen stets ein bis zwei Jahre bei den Eltern des Bräutigams, während welcher
Zeit ihnen ein eigenes Haus gebaut wird. Die Ehen der Bezpopowcy sind eigentlich wilde
Ehen; dagegen sind die letzteren bei den Popowcy streng verpönt; wer dennoch in wilder
Ehe leben würde, dem würde das Brunnenwasser, das Betreten der Straße und der
Kirchenbesuch durch sieben Jahre verwehrt.
Die Nahrung der Lippowauer ist gewöhnlich eine vegetabile und besteht aus Hülsen-
früchten und verschiedenem Obst. Fleisch genießen sie nur im Winter namentlich im Fasching,
Mönche und Nonnen aber nie. Ihre Kochkunst ist höchst einfach. Die Speisen werden in
Thontöpfen in dem sehr heißen Backofen zum Dünsten zugestellt. Hierauf wird die Backofen-
öffnnng mit einem halbkreisförmigen Brett oder Stein, genannt, verstellt, um
den Zutritt der Lnft hintanzuhalten. Zur Essenszeit werden dann die Töpfe mit den gut-
gekochten Speisen herausgenommen und die letzteren aufgetischt. Durch diesen Vorgang
erhalten sie ihre Speisen im warmen Zustande auch über die gewöhnliche Mittagszeit
hinaus. Doch wird auch viel auf dem Herde gekocht. Ihre Fasteu sind streng und dauern
186 Tage im Jahr.
Die Masse des Lippowaner Volkes will von einer modernen höheren Schulbildung
nichts wissen, im Bewußtsein, daß jede höhere Bildung ihre religiösen Anschauungen über
den Hänfen werfen müsse. In neuerer Zeit aber scheinen fortschrittsfreundlichere Ansichten
bei ihnen Eingang gefunden zu haben, denn sie beginnen ihre Kinder auch auf Mittelschulen
zu schicken, von denen zwei bereits matnrirt haben und einer Namens Epiphanias
Balanowiez sich ein Officierspatent im k. und k. Heere erwarb, dessen Bruder Entychie
aber griechisch-orientalischer Pfarrer in Petersburg ist. Epiphanias Balanowiez, der
durch drei Jahre in Wien die Medicin studirte, dies Studium aber wegen Abgang von
Existenzmitteln unterbrechen mußte, ist gegenwärtig öffentlicher Lehrer an der Schule in
Klimontz, wo er sich um die Bildung der Lippowauerkinder, für die er eigene Fibeln
herausgegeben hat, erfolgreich bemüht. Doch stehen derartige Fälle höherer Bildung bei den
Lippowanern bis heute vereinzelt da. Hingegen kann fast jeder Lippowaner, Mann oder Weib,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Band 20
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bukowina
- Band
- 20
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1899
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.14 x 21.77 cm
- Seiten
- 546
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch