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verschiedenartigsten Befestigungen. Sie gingen gleichsam als Erbtheil von einem Volke,
einem Geschlechte ans das andere über; nacheinander, Jahrhunderte hindurch, fühlte jedes
von ihnen die Nothwendigkeit derselben, genoß ihre Wohlthaten und trug das Seinige zu
ihrer Erhaltung bei. So hat die Zeit nur wenige von ihnen zerstört. Aber schon die große
Zahl von Ortsnamen, wie Värhely, Väralja, Värhegytetö n. s. w., in denen das Wort
„Vär" (Burg) vorkommt, liefert den Beweis, daß das Land einst von befestigten Punkten
wimmelte.
Allein so groß ihre Anzahl, so gering ist unser Wissen von ihrer Entstehung und
Geschichte. Dies erklärt sich einestheils durch das hohe Alter von sehr vielen, andererseits
aber dadurch, daß es hier wie anderwärts im Mittelalter nicht gebräuchlich war, die
Entstehung der Burgen urkundlich festzulegen. Die Sagen und Geschichten aber, so
hübsch und interessant sie sein mögen, können keine Daten ersetzen, sondern höchstens als
Grundlage für allgemeine Schlüsse dienen. Dazu kommt noch, daß hier zwei Meinungen
gegenüberstehen, und zwar nicht ans Daten gegründete, sondern, was das Bedenklichste ist,
von nationalen Gesichtspunkten ausgehende, die sich schnurstracks widersprechen. Die eine
ist die Meinung der Szikler, die andere die der Sachsen. Jene behaupten, die Szikler,
angeblich in Siebenbürgen zurückgebliebene Nachkommen der Hunnen, hätten noch vor
der magyarischen Eroberung des Landes im Szeklerlande etwa hundert Burgen gebaut.
Nach der gegnerischen Meinung wäre jede, oder beinahe jede, nicht von Römern, Daciern
oder Barbaren erbaute Burg sächsischen Ursprunges; also wären es die Sachsen gewesen,
die zur Zeit des ungarischen Königthums den Burgbau hier eingebürgert und auch einen
Theil der Burgen im Szeklerlande gebaut haben. Von den beiden Meinungen ist die erste
die weniger stichhaltige. Erstens weil das Szöklervolk auch jetzt noch zum Holzbau neigt,
die in Frage kommenden Befestigungen aber Steinbauten sind; und zweitens weil gerade
bei den Szöklern die meisten Sagen über den wunderbaren Ursprung von Burgen
entstanden sind, ein Beweis, daß diese auf sie den Eindruck des Übermenschlichen, von
Riesen Geschaffenen machten. Allein auch die zweite Meinung ist nicht durchaus richtig,
da, wie sich weiterhin zeigen wird, die defensive Baukunst der Sachsen sich ans die Kirchen-
kastelle und die Festungswerke der Städte beschränkte.
Immerhin ist es nicht unmöglich, sich über den Ursprung der Burgen wenigstens in»
Allgemeinen so zu orientiren, daß man innerhalb des Wahrscheinlichen bleibt. Von den
Schutzbauten der Römer, den Lagerplätzen und Wachtthürmen abgesehen, sind die sieben-
bürgischen Befestigungen mit wenigen Ausnahmen Hochburgen und lassen zwei große
Perioden des Burgeubaues erkennen. Die ältere dürfen wir im Allgemeinen die der
barbarischen, das heißt primitiven Burgen nennen; die zweite ist die dem ungarischen
Königthum ungehörige.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Band 23
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (7)
- Band
- 23
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1902
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.13 x 23.25 cm
- Seiten
- 622
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch