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gleich kräftig vorwärtsstrebendes Völkchen. Der Zahl nach haben sie sich in den letzten
180 Jahren nicht vermindert, sondern langsam, aber doch stetig vermehrt. Mit den
übrigen Deutschen sind ihnen die Grundeigenschaften des deutschen Wesens: Gemüths'
tiefe, Idealismus, ernste und intime Anffafsnng des Lebens gemeinsam. Allenfalls mögen
sie etwas ernster und verschlossener sein, als die Deutschen sonst. Sie haben ihre eigene
Mundart, die auf dem Lande allgemein, in den Städten neben dem Hochdeutschen
gesprochen wird. Sie hat viel Ähnlichkeit mit dem Dialekt des Niederrheins. Ein Sieben-
bürger Sachse und ein Deutscher aus Köln oder Luxemburg, die jeder seine eigene
Mundart sprächen, würden sich ziemlich gut verstehen. In Brauch und Sitte, Umgangs-
formen, Tracht, Hauswesen und geselligen Einrichtungen haben die Sachsen noch heute
viel Eigenartiges. In den Städten freilich hat sich all dies, namentlich im letzten halben
Jahrhundert, fast ganz verwischt. Man muß aufs Land gehen, um Eigenthümliches und
Ursprüngliches zu sehen. Der sächsische Bauer ist, namentlich Fremden gegenüber, etwas
zurückhaltend, dabei aber gutmüthig, anständig, klug und oft ein vorzüglicher Menschen-
kenner. Neuerungen gegenüber ist er mißtrauisch, sobald er aber ihre Vorzüge erkannt
hat, erfaßt er sie rasch und eignet sich an, was er als gut befunden. In manchen Gegenden
geht sein Unternehmungsgeist auch über den eigentlichen engen Kreis seiner Wirthschaft
hinaus. Er ist ordnungsliebend, sparsam, ein fleißiger und ausdauernder Arbeiter, und
seine unermüdliche Lebensgefährtin, die Frau, ist es nicht minder.
Der Pfar re r . — Der angesehenste Mann in den sächsischen Dörfern ist der
Pfarrer. Er ist im allgemeinen der Führer und Berather des Volkes. Mit Ausnahme
der Burzeuläuder Gemeinden, spricht der sächsische Bauer seinen Pfarrer überall mit
„wohlehrwürdiger Herr Vater" und die Pfarrerin mit „tugendsame Frau Mutter" an.
Im Erledigungsfalle wählen sich die Gemeinden ihren Pfarrer selbst. Er wird mit großer
Umsicht ausgewählt und unter überlieferten Formalitäten feierlich in sein Amt eingeführt.
Bei einer solcher Installation sind die alten Sachsenbräuche trefflich zu beobachten. Am
Morgen des Jnstallationstages erscheint eine Abordnung, von einem berittenen Ban-
derinm begleitet, in der Wohnung des erwählten Pfarrers. Der Sprecher ladet ihn in
wohlgesetzter Rede ein und verspricht, daß jedes Gemeindeglied ihm ein gehorsames
und liebevolles Pfarrkind sein werde. Der Pfarrer erwidert dies mit dem Versprechen,
seiner Herde ein treuer Hirte und seinen Pfarrkindern ein wahrer Vater sein zu wollen.
Nach diesem Austausch von Anreden besteigt der Pfarrer und seine Familie einen Wagen
und der Zug setzt sich in Bewegung. Seine Spitze bilden zwei Reiter, deren einer die
ungarische Trikolore, der andere die roth-blaue sächsische Fahne trägt. Hinter ihnen
reiten die Hornisten und die wohlhabenderen Landwirte der Gemeinde, im Bnrzenlande
gewöhnlich mit dunkelblauem „vallemän" (Dolmäny) angethan, dessen silberne „Hefteln"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Band 23
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (7)
- Band
- 23
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1902
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.13 x 23.25 cm
- Seiten
- 622
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch