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Dies offeriert einen Erklärungsansatz für problematischen Medienkonsum: Die Mediennutzung gerät dann
in Schieflage, wenn die Bedürfnislage aus dem Gleichgewicht ist. Gleichzeitig haben wir in der Auseinan-
dersetzung um den Medienbegriff jedoch gesehen, dass Medien keine neutralen Vermittler sind. Es ist also
möglich, dass Medien Bedürfnisse nicht nur befriedigen, sondern auch erzeugen bzw. verstärken. Die re-
nommierte Medienwissenschaftlerin Shelley Turkle stellt in ihren qualitativen Forschungen zu Social Soft-
ware fest, dass wir die Omnipräsenz in digitalen Netzwerken wie Twitter und Facebook mit einer vermin-
derten Fähigkeit zur Kommunikation im 'Hier und Jetzt' erkaufen (Turkle, 2012). Stimmt es also, dass on-
line gepflegte Beziehungen keine „echten“ Freundschaften sind und digitale Kommunikation prinzipiell
dem Austausch Angesicht zu Angesicht unterlegen ist? Forschungen zu computervermittelter Kommunika-
tion bestätigen solche pauschalen Annahmen nicht. Computervermittelte Kommunikation ist nicht prinzipi-
ell defizitär gegenüber face-to-face-Kommunikation, sondern weist eigene Qualitäten auf. Unterschiedliche
technologische Ausprägungen ermöglichen eine Bandbreite an Ausdrucksformen, die wiederum hinsicht-
lich ihrer kommunikativen Expressivität und Zielsetzung eine hohe Varianz aufweisen. Wie der Kommuni-
kationswissenschaftler Rice (1999) bemerkt, „new media are often compared to, or critiqued from, a privi-
leged, artifactual, idealized notion of interpersonal communication“ (S. 26). Wichtiger als das Medium ist
die „Medialität“, also die Art und Weise, wie wir Medien in spezifischen Situationen gebrauchen (Krämer,
2008).
Ebenso wenig wie heraufbeschworene Gefahren haben sich die euphorischen Erwartungen bewahrhei-
tet, die besonders das Lernen per Computer und Internet begleitet haben. Ende der 90er Jahre prognostizier-
te ein Expertengremium der Bertelsmann Stiftung, die traditionelle Hochschule sei im Begriff zu ver-
schwinden. Im Jahr 2005 sollten Bildungsbroker/innen über Maklerinnen und Makler auf dem durch Ange-
bot und Nachfrage regulierten Markt der Online-Studiengänge führen: „Was findet ein typischer Studienan-
fänger – nennen wir ihn Thomas S. – in naher Zukunft vor? Wird sein erster Gedanke sein, sich eine Hoch-
schule nach ihrem allgemeinen Renommee auszusuchen? Wird er sie lieber in einer Großstadt oder eher in
einem Städtchen besuchen wollen? Soll seine erste Alma Mater eher in der Nähe (wegen der Freundin)
oder doch lieber weiter fort (wegen der Eltern) liegen? Nichts dergleichen wird ihn beschäftigen. Stattdes-
sen wird Thomas S. das Internet absuchen, um sich – mit Hilfe verschiedener Online-Bildungsbroker –
über die weltweit angebotenen Kurse und Abschlüsse zu informieren. [...] Seminare und Vorlesungen, Kur-
se und Betreuung werden als multimediale Websites oder als „training in the box“ angeboten.“ (Bertels-
mann Stiftung & Heinz Nixdorf Stiftung, 2001, 18).
Die Studienwahl per Online-Bildungsbrokering ist keineswegs Realität geworden. Vielmehr zeigt sich,
dass neue Medien in der Lehre das Repertoire der Lehrmethoden ergänzen, stellenweise auch verändern,
aber keineswegs ersetzen. Dies wird in den Kommunikationswissenschaften als 'Riepelsches Gesetz' be-
zeichnet.
Diese Merkregel lohnt es sich im Hinterkopf zu haben, wenn in aktuellen Debatten davon die Rede ist,
dass 'Massive Open Online Courses' (MOOCs) die traditionelle Universität bald obsolet werden lassen.
Im vorangegangenen Abschnitt wurde auf Parallelen in der gesellschaftlichen Bewertung von Buchdruck
und Internet verwiesen. Wie ähnlich, wie unterschiedlich sind beide Medien? Anders gefragt: Was bedeutet
es, wenn wir lesend und schreibend, produzierend und rezipierend im Netz unterwegs sind? Was ist das
Neue an den neuen Medien und wie lange ist das Attribut 'neu' eigentlich noch zeitgemäß?
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569