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40 | www.limina-graz.eu die insbesondere dort zu erwarten stehen, wo die von den Beschleunigungs-
und Wachstumsprozessen ausgeschlossenen Massen sich gegen die Be-
schleunigungsgesellschaft zur Wehr setzen.“ (Rosa 2005, 489)
Das ist plausibel und ja auch schon zu beobachten. Wir leben in Zeiten eines er-
starkenden Rechtspopulismus, der seine Energien im Kampf gegen die Globali-
sierung, offenkundig auch ein Codewort für „Beschleunigung“, gewinnt und
der verspricht, die Vorteile der kapitalistischen Dynamisierung genießen zu
können, ohne deren kulturelle Verunsicherungs- und politische wie finanzielle
Gerechtigkeitskosten bezahlen zu müssen. Es stellen sich denn auch tatsächlich
(„linke“ wie „rechte“) Massen und nicht die konservativen Eliten gegen die Be-
schleunigungsgesellschaft und ihre diversen Zumutungen. Die Ahnung, dass
der kapitalistische gesellschaftliche Entwicklungsprozess in seiner spätmoder-
nen Phase sich letztlich doch als unsteuerbar erweist, diffun diert gegenwärtig
rasant in die letzten Winkel spätmoderner Gesellschaften. Man spürt jetzt auch
außerhalb der Eliten, dass die in Gang gesetzten technologischen und kulturel-
len Entwicklungen komplex interagieren und unsere kognitiven Einsichts- und
politischen Steuerungsfähigkeiten immer öfter übersteigen.
Bevor aber alle zivilisatorische Entwicklung in der ökologischen und sozialen
Katastrophe endet, durchleben, so Rosa, die Individuen im entwickelten Kapi-
talismus nicht nur eine Phase des „rasenden Stillstands“ (Virilio), in dem sich
alles ständig ändert, aber gleichzeitig nichts wirklich verändert, sondern auch
eine fundamentale „Entfremdung“. Rosa rehabilitiert diesen etwas aus der
Mode gekommenen marxistischen Begriff. Denn für Rosa markiert er jenes
Versprechen, das die Moderne gibt und doch nicht hält, das Versprechen, ihre
dramatischen Reichweitensteigerungen menschlichen Weltzugriffs würden
zu gelingendem, glücklichem Leben führen. Dem sei aber, so Rosa, ganz und
gar nicht so. Die kapitalistische Steigerungsdynamik spätmoderner Gesell-
schaften führe vielmehr geradewegs in den Zustand der Entfremdung, führe zur
„Schließung der Weltporen“ (Rosa 2016, 696). „Entfremdung“ definiert dann
jenen „Zustand, in dem die ‚Weltanverwandlung‘ misslingt, so dass die Welt
stets kalt, starr, abweisend und nichtresponsiv erscheint“ (Rosa 2016, 316).
Denn „unter steigerungskapitalistischen Verhältnissen“ (Rosa 2016, 694–695)
nehme die moderne Strategie der „(Welt-)Reichweitenvergrößerung“ (Rosa
2016, 694) notwendig
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Der kapitalistische gesellschaftliche Entwicklungsprozess
könnte sich letztlich doch als unsteuerbar erweisen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven