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41 | www.limina-graz.eu „die Form der Kapitalakkumulation in einem umfassenden Sinne an: Subjekte
zielen darauf, Welt erwerbbar zu machen (ökonomisches Kapital), sie zu-
gleich wissbar, beherrschbar und nutzbar werden zu lassen (kulturelles Kapi-
tal) und dabei die eigene Weltreichweite durch Zugang zu den Kapitalien und
Positionen anderer zu erweitern (Sozialkapital).“ (Rosa 2016, 695)
„Entfremdung“ definiert bei Rosa dann jenen „Zustand, in dem die ‚Weltan-
verwandlung‘ misslingt, so dass die Welt stets kalt, starr, abweisend und nicht-
responsiv erscheint“ (Rosa 2016, 316).
Das trifft sich mit Ulrich Bröcklings Analysen des „Formungsprozess[es]“ des
Einzelnen in kapitalistischen Zeiten, „bei dem gesellschaftliche Zurichtung und
Selbstmodellierung in eins gehen“ (Bröckling 2007, 31). Ist es bei Bröckling der
Zwang zu ständiger Selbstoptimierung, der im Mittelpunkt steht, so sind es bei
Rosa die „stummen“, resonanzlosen Weltbeziehungen, die diese Formation
ausmachen. Es gilt eben: „Das Innere ist nichts anderes als ein auf sich selbst
zurückgewendetes Äußeres – und umgekehrt.“ (Bröckling 2007, 34)
5.
Was bedeutet dies für das Christentum? Kurt Appel hat das Problem präzise
benannt: Es wäre eine „Absurdität“, in einen „kirchlichen und gesellschaftli-
chen Konservativismus“ zu verfallen, der meint, man könne die „Leere [der
kapitalistischen Kultur] mit einer Rückkehr zu vormodernen Vorschreibungen
und Identitätsmarkern […] wieder auffüllen“ (Appel 2013). Wie aber dann der
„Leere“ und Unbarmherzigkeit des Kapitalismus entkommen?
Der kulturell hegemoniale Kapitalismus ist weder göttlich, noch unüberwind-
bar oder gar ewig. Wahrscheinlich wird er an seinen inneren Widersprüchen
scheitern, wenn auch anders, als Marx es annahm. Aber er ist eine aktuelle und
mächtige Realität, und es gibt kein leicht verfügbares Außen, über das man ent-
kommen könnte. Wenn eine
„hegemoniale Formation […] auch das [umfasst], was sich ihr entgegensetzt,
insofern die entgegengesetzte Kraft das System der grundlegenden Artikula-
tion dieser Formation als das von ihr Negierte akzeptiert, der Ort der Nega-
tion jedoch durch die inneren Parameter der Formation selbst definiert ist“
(Laclau/Mouffe 2015, 176),
dann gibt es kein einfach so zugängliches Außen zur hegemonialen kapitalis-
tischen Kultur in ihr, keine von ihr unberührte Singularität, weder eine religiöse
noch eine ideologisch konstituierte.
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven