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57 | www.limina-graz.eu alen aus. Eine Fastentrainerin in der Steiermark sagte, dass man nieman-
den zwingen könne zu fasten; es müsse eine freiwillige Entscheidung sein.4
In diesem Sinn stellt sich der/die Fastentrainer/in selbst nicht als Autorität
vor. Seine/ihre Empfehlungen sind in ihrer Anwendung den TeilnehmerIn-
nen überlassen. Eine Fastentrainerin in Kärnten sagte, dass sie sich nicht
das Recht herausnehme zu kontrollieren, ob die TeilnehmerInnen wirklich
auf das Handy verzichten oder nicht. Die dahinter stehende Idee ist die
eines Rituals ohne Autorität, ohne Intervention eines Priesters, wie es z. B.
für die Sakramente erforderlich war oder ist. Der/die AkteurIn kann diese
Rituale selbst durchführen.
Auf den ersten Blick scheint die Autonomisierung des Rituals im Wider-
spruch zu klassischen Definitionen zu stehen.
„In Durkheims Modell konstituiert rituelles Handeln im Kult die not-
wendige Interaktion zwischen den kollektiven Repräsentationen sozi-
alen Lebens (als eine Art geistige oder über das Geistige hinausgehende
Kategorie), der individuellen Erfahrung und dem individuellen Verhalten
(als eine Kategorie des Handelns).“ (Bell 2003, 38)
Säkulare Fastenrituale werden allerdings von den AkteurInnen auch nicht
komplett neu erfunden. Sie beziehen sich im Gegenteil häufig auf Tradi-
tionen, um ihre Rituale zu rechtfertigen. Die Tradition, an die sie appellie-
ren, kann sowohl aus dem christlichen Bereich (Jesus als erster Fastender,
die Mönche als Experten des Fastens), aus östlichen Traditionen oder
auch aus dem biologischen Bereich (Tiere fasten auch) stammen. Die Au-
Peter Ebenbauer und Isabelle Jonveaux | Zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung
4 Isabelle Jonveaux hat im Rah-
men des FWF-Projekts „Aspiration
to the simple life. From monastic
asceticism to secular discipline of
wellness“ Feldforschungen mit
Interviews und teilnehmender
Beobachtung bei Fastenwochen und
mit Fastenden durchgeführt. Elise-
Richter Projekt V304-V15, 08.2013-
10.2017. Ritual zur Selbstfindung
im Rahmen einer Fastenwoche
Foto: Isabelle Jonveaux
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven