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84 | www.limina-graz.eu schlechtsbezogener Interpretationen wurde die Parallele der Charakteri-
sierung Marias als „Sklavin JHWHs“ (vgl. auch Lk 1,38: ἡ δούλη κυρίου)
zum männlichen Äquivalent eines „Gottesknechts“ (δοῦλος κυρίου)
unterbelichtet. Dabei gießt Gott in der lukanischen Version des Zitats
von Joël 3,2 in Apg 2,18 „über meine Sklaven und über meine Sklavinnen
in jenen Tagen von meinem Geist aus, und sie werden prophetisch re-
den“ (vgl. dazu Lk 1,35; in 2,29 tritt auch Simeon als Gottes δοῦλος auf).
Sklave oder Sklavin (allein) Gottes zu sein, bedeutet zugleich die „Absage
an jede Form der Herrschaft von Menschen über Menschen“ (Schiffner
2008, 279 Anm. 426; vgl. Lev 25,55). Wenn Maria „von nun an alle Ge-
nerationen seligpreisen werden“ (Lk 1,48), erinnert dies (über Lea in Gen
30,13 hinaus) wiederum an Judit, die den Ältesten in Jdt 8,32 ankündigt,
dass ihre Rettungstat „in Generationen von Generationen den Kindern un-
seres Volkes“ weitererzählt werden wird.
In einem „doppelten Anlauf“ (Lohfink 1990, 14) schließt sich an die erste
Begründung eine weitere Erläuterung an: „denn Großes31 hat der Mächtige
(ὁ δυνατός wird im Magnificat allein auf Gott bezogen)32 an mir getan“
(Lk 1,49). Eine ähnliche Formulierung begegnet etwa in Sir 50,22, wo das
Tun großer Dinge (vom Exodus in Dtn 10,21; Ps 105,21 LXX [= 106,21]; von
Gottes schöpferischer Macht in Ijob 37,5) mit den Motiven von Erhöhung
und barmherziger Zuwendung (vgl. auch Ps 135,4 LXX [= 136,4]) verknüpft
ist, die ebenso im lukanischen Kontext eine wichtige Rolle spielen. Der in
Lk 1,49 darauffolgende Hinweis auf die Heiligkeit seines Namens erinnert
an 1 Sam 2,2 (in der LXX auch in V. 10 hervorgehoben; vgl. außerdem etwa
Ex 15,11 oder Ps 111,9).
Im Erbarmen, das Gott Generationen von ihn Fürchtenden erweist (Lk 1,50;
vgl. Ps 89,2; 100,5; 103,17 sowie Ex 20,6; 34,6–7: ἔλεος/ ), tritt ein –
die beiden Liedstrophen verklammerndes – Leitthema zu Tage. Ausgehend
von der konkreten Erfahrung des Hinsehens Gottes auf die „Erniedrigung“
(ταπείνωσιν, V. 48) „seiner Sklavin“ richtet sich die Perspektive auf die
„Erniedrigten“ (ταπεινούς, V. 52) Israels, „seines Dieners“ (παιδὸς αὐτοῦ,
V. 54; vgl. dazu in der LXX – für י
ִּדְבַע – Jes 41,8–9; 42,1; 44,1–2.21), des-
sen sich die Gottheit, ihrer barmherzigen Güte gedenkend (vgl. Ps 97,3 LXX
[= 98,3]), gerade durch ihr Handeln an Maria „angenommen hat“. Schließt
Hannas Lied mit einem Blick auf Gottes „Gesalbten“, betont das Magnificat
die heilsgeschichtliche Kontinuität „Abraham und seiner Nachkommen-
schaft in Ewigkeit“ zugesagter (Lk 1,55)33 – und erlebter – Rettung durch
Gott, der mit seinem machtvoll wirkenden „Arm“ (Lk 1,51)34 Stärke beweist.
Andrea Taschl-Erber | Die Macht der Ohnmächtigen
31 Siehe die motivische Verknüp-
fung von μεγάλα mit μεγαλύνει
in V. 46.
32 Vgl. z. B. Zef 3,17; Ps 23,8 LXX
(= 24,8).
33 Vgl. den ähnlichen Rekurs auf
die Verheißungen an die Vorfahren,
namentlich Abraham, in Mi 7,20
oder Ps 105,42; außerdem die paral-
lele, jedoch auf David als χριστός
bezogene, Wendung in Ps 17,51 LXX
(= 18,51).
34 Vgl. Ps 89,11.14 = 88,11.14 LXX
sowie im paradigmatischen Exodus-
kontext Ex 6,1.6; 15,16; 32,11; Dtn
4,34; 6,21; 7,8; 26,8; 2 Kön 17,36;
vom Schöpfer in Jer 32,17. דֶסֶח
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 1:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 1:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 236
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven