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36 | www.limina-graz.eu ons- und Weltanschauungsgemeinschaften hinaus näher bzw. ähnlicher
sind als ihre binnengemeinschaftlichen Mit-Strömungen.
Verpflichtende Wirkung der Menschenrechte auf Religions- und Weltanschau-
ungsgemeinschaften
Für den Schutz der Menschenrechte ist primär der Staat verantwortlich. Es
liegt in erster Linie in seinen Händen, die Menschenrechte durchzusetzen
und auch dafĂĽr zu sorgen, dass sich andere gesellschaftliche Akteure (z. B.
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften) an die Menschenrechte
halten, wie er das auch bei anderen Rechten tut (vgl. Kirchschläger 2017).
Angesichts von Menschenrechtsverletzungen in bzw. durch Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften stellt sich die Frage, wie der Staat re-
agieren soll. Es wäre illegitim vom Staat, unter Verweis auf die Freiheit des
Individuums, einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft anzu-
gehören und diese verlassen zu können, solche Menschenrechtsverletzun-
gen zu tolerieren, da Menschen beim Betreten einer Kirche, eines hinduis-
tischen oder buddhistischen Tempels, einer Synagoge oder einer Moschee
nicht auf ihre Menschenrechte verzichten, sondern Trägerinnen und Trä-
ger von Menschenrechten bleiben (vgl. Kirchschläger 2006, 123–161). Des
Weiteren käme der Verweis des Staates auf die Austrittsmöglichkeit einer
Zustimmung des Staates zu Menschenrechtsverletzungen gleich, weil vom
Opfer einer Menschenrechtsverletzung ein Austritt erwartet wird. DarĂĽber
hinaus würde es sich sogar um eine Förderung von Menschenrechtsver-
letzungen durch den Staat handeln, da so Religions- und Weltanschau-
ungsgemeinschaften zu „geschützten Bereichen“ für Täter bzw. zu „men-
schenrechtsfreien Räumen“ entfremdet werden würden (vgl. Kirchschlä-
ger 2016, 123–161).
Auch die Bezugnahme auf die kollektive Religionsfreiheit erwiese sich als
nicht vertretbar. Diese kann nicht als Legitimation des staatlichen Weg-
schauens dienen, weil kollektive Menschenrechte ausschliesslich im Dienst
der Durchsetzung von individuellen RechtsansprĂĽchen stehen (vgl. Kirch-
schläger 2016, 123–161). Der Staat muss also aktiv werden.
Primäre Verantwortung bedeutet aber nicht alleinige Verantwortung. Auch
nichtstaatliche AkteurInnen (wie z. B. Religions- und Weltanschauungs-
Peter G. Kirchschläger | menschenrechte, demokratie und religionen
eine nicht allzu problembeladene
Koexistenz mit der Folter, eine Ab-
lehnung der Menschenrechtserklä-
rungen des achtzehnten Jahrhun-
derts, sogar eine Skepsis gegenĂĽber
der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte von 1948. Sicher gab es
auch das Gegenteil: das christliche
Engagement fĂĽr die Abschaffung
von Folter und Sklaverei, Einfluss
auf und Akzeptanz der Menschen-
rechtserklärungen vom achtzehnten
bis zum zwanzigsten Jahrhundert“
(Joas 2011, 204).
Wie soll der Staat auf Menschenrechtsverletzungen in bzw. durch
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften reagieren?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven